CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Manifest
(2016)
In der Frühphase der Französischen Revolution zeigt sich [...] eine Zäsur in der historischen Betrachtung von politischen Texten, die sich als Manifeste ausweisen: Die Vergangenheitsorientierung wird zum Anachronismus; erst durch die Ausrichtung auf Zukunft wird das Manifest zu einem zentralen Instrument politischer Kommunikation. Seit der Französischen Revolution wird in Manifesten Zukunft angekündigt und rhetorisch hergestellt. Das Manifest soll eine Mobilisierung hervorrufen, die das formulierte Programm realisiert. Dabei muss diese Zukunftsvorstellung nicht ausführlich entwickelt werden, häufig reicht es aus, sie anzudeuten und anzukündigen. Damit unterscheiden sich Manifeste von Utopien: Während die Utopie eine möglichst umfassende Fiktion einer zukünftigen Gesellschaftsform als Regulativ gegenwärtigen Handelns entwirft, begnügt sich das Manifest mit einer andeutenden Rhetorik des Futurischen und mit indexikalischen Zeichen, die das Neuartige, wenn auch nicht unbedingt Spezifizierte der Zukunft in der Gegenwart verankern. Diese Kopplung zwischen verheißener Zukunft und gegenwärtigem Handeln zeigt sich auch in der Etymologie: Der Ausdruck Manifest stammt vom lateinischen Verb 'manifestare' 'offenlegen', der Wortstamm verweist aber auch auf das Wort 'manus', ‚die Hand‘, so dass die Bedeutung 'handgreiflich machen' mitschwingt. Im Folgenden soll nicht versucht werden, die Gattungsform zu definieren oder eine Typologie der Manifeste zu entwerfen. Stattdessen geht der erste Teil des Beitrags auf einige historische Stationen der Geschichte des Manifests ein, worauf die folgenden beiden Abschnitte sich zwei konkreten Manifesten widmen: Karl Marx' und Friedrich Engels' 'Manifest der Kommunistischen Partei' (1848) und Bruno Latours 'An Attempt at a Compositionist Manifesto' (2010).
Utopie
(2016)
Was unter dem Begriff Utopie und seinen Derivaten wie Dystopie, Anti-Utopie, Eutopie oder Heterotopie zu verstehen ist, ist Gegenstand einer langen und kontroversen Geschichte. Die Utopie wurde als literarische Gattung bestimmt, die eine alternative und ideale Gesellschaftsform im Modus der Fiktion zur Darstellung bringt, als Staatsroman, als eine Denkform, als eine Hoffnung, als Vorgriff und Apotheose einer totalitär organisierten Gesellschaftsform oder sie umfasst gar die Literatur als Ganze. Dementsprechend lässt sich ein Konsens über den Utopie-Begriff, wie Wilhelm Voßkamp bemerkte, am ehesten "unter negativem Vorzeichen" gewinnen, weshalb die von ihm herausgegebenen drei Bände zur Utopie-Forschung die dem Diskurs 'Utopie' zugeschriebenen Texte in ihren historisch-sozialen Kontexten untersuchten. Im Folgenden soll und kann es denn auch nicht um eine Bestimmung des Begriffs der Utopie selbst gehen, sondern um die Art und Weise, wie Utopien Zeitlichkeit und das heißt insbesondere Zukünftigkeit modellieren.
Wilhelm Raabes erstmals im Jahr 1888 erschienene Erzählung 'Das Odfeld' stellt einen Gelehrten auf ein Schlachtfeld im Siebenjährigen Krieg (1756-1763). Schon damit weicht die Erzählung in bezeichnender Weise von anderen literarischen Schlachtfeld-Darstellungen ab. Zu nennen wären beispielsweise der Picaro-Roman, der eine Erzählanordnung gründete, in welcher sich eine einfältige Figur oder, wie in Grimmelshausens 'Courasche', eine Frau ins Schlachtgeschehen versetzt sah, die zahlreichen Texte, die sich dem deutschen Nationalhelden Hermann widmeten, oder die großen Schlachtfeld-Romane des 19. Jahrhunderts, Stendhals 'Kartause von Parma' (1839) und 'Tolstois Krieg und Frieden' (1868/69), in denen es das eine Mal ein naiver, aber begeisterter Jüngling und das andere Mal ein verfetteter Adliger sind, die sich orientierungslos zwischen zerfetzten Körpern wiederfinden. Raabes Magister Noah Buchius dagegen ist zwar ein Gelehrter, bietet allerdings ein trostloses Bild der Gelehrsamkeit in Zeiten des Krieges. Schon zu seinen Schulzeiten soll er eine überflüssige Gestalt und dreißig Jahre lang der "Sündenbock" und "Komikus" gewesen sein, so dass man ihn beim Umzug der Schule vom Kloster Amelungsborn nach Holzminden einfach zurückgelassen habe. Und auch für den über das Kloster hinwegziehenden Krieg und die auf dem Odfeld stattfindende Schlacht ist er eine bedeutungslose Figur.
Der vorliegenden Untersuchung geht es jedoch weder um eine bloße Figurenanalyse noch um die Untersuchung der konkreten Quellen des Romans, was die Forschung zu einem großen Teil ohnehin geleistet hat. Vielmehr soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie die Bedeutungslosigkeit des Gelehrten auf den historischen Wandel der epistemischen Konstellation von Gelehrsamkeit, Literatur und Krieg rekurriert. Das 'Odfeld' erzählt dabei nicht einfach eine Geschichte der zunehmenden Spezialisierung und Technisierung der Kriegswissenschaft, sondern koppelt die Veränderung des Verhältnisses Gelehrter - Schlacht an eine über das rein Militärische hinausgehende Semiotik des Krieges: Die Vorbereitungen des Feldherrn und die der Einwohner des ehemaligen Klosters Amelungsborn auf die kommende Schlacht, die nachträgliche Verarbeitung der Ereignisse, die Suche nach Trost und die Orientierung auf dem Schlachtfeld werden in ihrer Zeichenvermitteltheit vorgeführt.
Politische Arithmetik
(2016)
Quantitative Methoden markieren somit von Anfang an den methodischen Kern der politischen Arithmetik. Darüber hinaus gehen Erkenntnis und Regulierung eine feste Verbindung ein. Politische Arithmetik zielt nicht nur auf ein 'Wissen' von der Bevölkerung, sondern ebenso auf die 'Steuerung' der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung. Damit geht es sowohl um die 'Vorhersage' als auch um die 'Herstellung' der Zukunft. Im bevölkerungswissenschaftlichen Dispositiv verbinden sich epistemische und operative Aspekte.
Ökologie
(2016)
Ist heute die Rede von ökologischem Bewusstsein, Umweltverschmutzung oder Energiequellen, so ist immer auch zugleich die Rede von der Zukunft: In Frage steht, wie ein zukünftiges Leben unter den von Menschen geschaffenen Bedingungen aussehen könnte – Stichworte sind Klimawandel, Wassermangel, Erschöpfung der Energie-Ressourcen sowie die daraus folgenden Konsequenzen: Kriege um die Territorien, in denen ein Überleben noch möglich ist. Stets werfen solchen Szenarien die Frage auf, mit welchen Mitteln und Umstellungen diese düstere Zukunft vermieden werden könnte, verhandelt werden solchermaßen eine Energieversorgung durch alternative Energiequellen, die Ausrichtung der Wirtschaft auf Nachhaltigkeit, aber auch die Frage, ob die Demokratie überhaupt in der Lage ist, angesichts der akuten und globalen Probleme rechtzeitig zu agieren.
Lumpen-Recycling
(2015)
Wenn Kleider abgetragen, brüchig, löcherig oder zerschlissen sind, werden sie zu Hadern, worunter laut dem Grimm’schen 'Wörterbuch' abgerissene oder abgeschnittene Stücke Zeug, Fetzen, Lumpen oder Kleidungsstücke, die "vor Alter in stücken zerfallen", zu verstehen sind. Für die Papierhersteller war dieser Abfall allerdings bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein unersetzbarer Rohstoff, womit sie das Prinzip der Wiederverwendung unnütz gewordener Dinge, also des Recycling, schon lange vor dem Zeitalter der Ökologie zur Grundlage ihres Handwerks gemacht hatten.
Das Wechselspiel von kulturellen und hermeneutischen Grenzerfahrungen bildet die wohl deutlichste Gemeinsamkeit zwischen Borges und Jarmusch: Beide Autoren verorten ihre Figuren in zahlreichen Erzählungen an der Schnittstelle verschiedener und bisweilen gegensätzlicher Kulturen und Lebenswelten, die sich im Inneren der Figur gegenseitig durchdringen. Während Borges vor allem in seinem Frühwerk kulturelle Grenzsituationen entwirft, die den Gegensatz zwischen der europäischen und kreolischen Kultur zum Ausdruck bringen, widmen sich Jarmuschs Filme insbesondere den kulturellen Spannungen in den Vereinigten Staaten. Doch gleichzeitig entwerfen sie die Utopie einer 'Hyperkultur', in der die Gegensätze zugunsten kultureller Synergien aufgehoben sind. Als kulturelle Grenzgänger oszillieren ihre Figuren auf einer Schwelle zwischen den Kulturen, die sich den agonal-dialektischen Gegensätzen kontinuierlich entzieht (vgl. Han 2005, 17). Gleichzeitig legen sie dem Phänomen der kulturellen Heterogenität eine Erzählstruktur zugrunde, die selbst von einer wesentlichen Ambiguität geprägt ist und die Dynamik kultureller Grenzerfahrungen überhaupt erst sichtbar macht. Borges' berühmte Erzählung 'El Sur' und Jarmuschs Kunstfilm 'Dead Man' offenbaren dabei erstaunliche strukturelle Gemeinsamkeiten.
In den letzten Jahren hat es sich durch die Globalisierung bemerkbar gemacht, dass heute die Grenzen zwischen verschiedenen Wissenschaftszweigen sowie Literatur, Kultur und Politik aufgehoben wurden. Die Globalisierung verursachte daher eine unaufhörliche Ausweitung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Unter dem Lichte des oben angeführten verdichteten sozialen Beeinflussungsprozesses erreicht der Zeitmensch eine neue d.h. zeitgemäße Wahrnehmungswelt, die zur Globalisierung parallel lief. In diesem Zusammenhang habe ich die inhaltlichen Gemeinsamkeiten der problematischen Seelenzustände in Bezug auf Individualproblematik der betreffenden Texte „Ist Es Eine Komödie Ist Es Eine Tragödie?“ von Th. Bernhard (1931-1989) und „Die Oper Auf Der Strasse“ von S.K. Aksal (1920-1993) in die Hand genommen. Das Ziel des Beitrags ist es, die sinnlosen und problematischen Lebensabschnitte in den oben genannten Kurzgeschichten aus der Sicht des fähigen und talentierten Lesers zustande zu bringen und erst durch die interkulturellen Zusammenhänge die gemeinsamen Menschen- und Zeitfragen durch die kritische Lektüre der Texte dem Leser nahe zu bringen. Meine Arbeitsmethode ist eben deswegen Leserorientierte, psychoanalytische Annäherung und Komparatistik als Untersuchungsform.
Andreas Bülhoff und Annette Gilbert geben einen Einblick in die von ihnen im Rahmen des DFG-Projekts "Artefakte der Avantgarden 1885–2015" begründete "Library of Artistic Print on Demand". Dabei zeigen sie anhand ausgewählter Artefakte, wie PoD-Publikationen als programmatisch schlecht gemachte Bücher die Restriktionen des Literaturbetriebs und der PoD-Plattformen gleichermaßen unterlaufen. Zugleich ist der Status dieser Artefakte äußerst prekär: Der Eingang dieser Publikationen in die Bestände der Bibliotheken kann darum auch als ein kulturpolitisches Anliegen begriffen werden.
Rezension zu Guido Hiß: Synthetische Visionen. Theater als Gesamtkunstwerk von 1800 bis 2000. München (epodium) 2005 (= aesthetica theatralia, Bd. 1).319 S.
Guido Hiß, Professor für Theaterwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, ist nicht nur Theaterwissenschaftlern mit seinen Arbeiten zur Aufführungsanalyse und zu medienspezifischen Fragestellungen ein Begriff. Mit dem vorliegenden Werk liefert er einen historisch ausgerichteten Theorie-Querschnitt über 'Synthetische Visionen. Theater als Gesamtkunstwerk von 1800 bis 2000'. Dieses Sujet ist zwar schon in verschiedenen epochengebundenen Einzelstudien untersucht worden, einen umfassenden zeit- und theoriegeschichtlichen Ansatz suchte man bislang jedoch vergebens.
Der Artikel stellt aktuelle stilometrische Studien im Delta-Kontext vor. Diskutiert wird, warum die Verwendung des Kosinus-Abstands zu einer Verbesserung der Erfolgsquote führt; durch Experimente zur Vektornormalisierung gelingt es, die Funktionsweise von Delta besser zu verstehen. Anhand von mittelhochdeutschen Texten wird gezeigt, dass auch metrische Eigenschaften zur Autorschaftsattribution eingesetzt werden können. Zudem wird untersucht, inwieweit die mittelalterliche, nicht-normierte Schreibung die Erfolgsquote von Delta beeinflusst. Am Beispiel von arabisch-lateinischen Übersetzungen wird geprüft, inwieweit eine selektive Merkmalseliminierung dazu beitragen kann, das Übersetzersignal vom Genresignal zu isolieren.
Meteorologie
(2016)
Die Wetterkunde setzt sich aus vier Tätigkeitsfeldern zusammen: Datensammlung, Modellentwicklung, Prognostik und Wettersteuerung. Die Vorhersage zukünftiger Wetterereignisse stellt mithin nur eines von mehreren Aufgabengebieten dar. In ihrer Geschichte verlief die Entwicklung der vier Felder lange Zeit weitgehend separat. In den Agrar- und Seefahrergesellschaften der Antike führten Stadtverwaltungen und Tempel kalendarische Aufzeichnungen über alle Arten von Himmelsereignissen. Kosmologische Modelle wurden in der Naturphilosophie entworfen. Aristoteles unterschied dabei den Gegenstandbereich der 'Uranologie', die sich mit feststehenden Körpern wie Fixsternen und sich regelmäßig bewegenden Körpern wie Planeten beschäftigt, von dem der 'Meteorologie', die es mit singulären oder unregelmäßigen Ereignissen wie den Witterungserscheinungen zu tun hat. Für Prognosen in diesem Bereich stützte man sich auf Erfahrungswerte und ein Denken in Wenn-dann-Strukturen: Das Auftreten oder Ausbleiben von Himmelsphänomenen oder ihrer Kombination und das Verhalten von Pflanzen und Tieren zu bestimmten Tageszeiten wurde als Anzeichen für zukünftige Wetterereignisse gedeutet. Dieses Wissen bezog sich allein auf die alltägliche Nutzanwendung und war nicht an Erklärungen interessiert. In der Antike muss deshalb nicht die Meteorologie, sondern die Wetterprophetie als das wetterkundliche Zukunftswissen gelten. Die Mittel zur Beeinflussung des Wetters schließlich bestanden in Zaubern und Gebeten.1 An dieser Trennung der verschiedenen Tätigkeitsfelder der Wetterkunde änderte sich im Mittelalter und in der frühen Neuzeit kaum etwas.
What is the effect of weathering in a confined space? What if this space is the bathroom of the famous Mexican painter Frida Kahlo? Writer Mario Bellatin and photographer Graciela Iturbide venture into this once intimate room and through a series of artistic interventions breathe new life into it. The logic of the archive is their guiding principle: in order to preserve what has been locked away and stored, it must be exposed and put to new uses.
Francesca Cadel's paper 'Outside Italy: Pasolini's Transnational Visions of the Sacred and Tradition' points out that in the 1940s and 1950s Pasolini's themes were all related to the specificity of Italian society, history, and traditions, while, beginning with the 1960s, Pasolini started travelling around the world, widening his perspectives on a rapidly changing world. Hence he developed new critical patterns, combining an increasing interest in sprawling transnational post-colonial economies with his strenuous defence of tradition and the sacred within human societies. Cadel uses different examples - including Pasolini's Indian travelogues - to show how his initial devotion to Italian millenary traditions and peasant cultures finally led to an open vision and understanding of human behaviours and mores, beyond any national boundary.
Ein "hundertjähriger Krieg"? : über die Bildung einer Friedenskultur aus dem Geist des Krieges
(2014)
Wer nicht direkt Zeitgenosse im Jahre 1914 gewesen ist, kommt [...] nicht ohne Konstrukte und Nacherzählungen aus. Aber nicht nur das: Auch wer Zeitgenosse gewesen ist, mag die späteren Generationen mit Formen von Distanzierung überraschen, wie etwa Kafka mit seiner Tagebucheintragung vom 1. August 1914: "Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. Nachmittag Schwimmschule" [...]. Nun wissen wir auch, dass Kafkas Werk einer "furchtbaren Welt" entspricht, indem sie "strukturell der Wirklichkeit, die wir zu erleben gezwungen wurden, unheimlich adäquat ist" [...]. Einer formneutralen Aufzeichnung wie derjenigen Kafkas bräuchte prinzipiell kein weiterer bedeutungsschwerer Charakter beigemessen zu werden. Jedoch könnte eine solche Aufzeichnung auch auf die Dynamik einer Kriegs- bzw. Friedenskultur hindeuten. Diese Dynamik hat nach der hier verfolgten Perspektive einen strukturellen Zusammenhang beider Kulturmuster als Spielarten, die allzu oft nur als Polaritäten, dementsprechend als Kontraste, angesehen werden. [...] Die hier vorgenommene Analyse einer solchen Problematik beinhaltet drei Schritte: 1. Die Auffächerung von Krieg und Frieden als Momente im unvollendeten Prozess der Zivilisation; 2. Thomas Manns retrospektiver Blick auf Kontraste und Spielarten, und 3. Jenseits von "kaltem Krieg", "heißem Frieden" und "blauäugigem" Pazifismus: "Ich will verstehen" oder die Rolle der Zwischenräume.
A temática da decadência em "Os Buddenbrook: decadência duma família" é explícita: materializa-se enquanto subtítulo da obra literária. Em "Os Maias", repete-se a estrutura essencial do título anterior, focalizando-se um nome de família. Sabe-se, entretanto, de antemão, que o enredo contemplado pelo romance de Thomas Mann perpassará por episódios cujo desfecho está no desnodar decadente das gerações da família Buddenbrook, o que, ainda que não explícito, repete-se na obra de Eça de Queirós. Para concretizar de forma estética a temática pretendida, ambos os autores focalizam cada geração das famílias ficcionais, desnudando dialeticamente pensamentos e papeis sociais. Desse desnudamento, um traço se mostra compartilhado por quase todas as personalidades: a preocupação para com a perpetuação do nome da família; fardo que pressagia a total extinção de ambos os antropônimos. A fim de demonstrar a relação da nomeação com a temática da decadência familiar, este artigo propõe um diálogo entre a Literatura Comparada e a Antroponomástica Ficcional - estudo dos nomes ficcionais - e situa o processo da despersonalização subjetiva do nome de família para a concretização do ápice da decadência: o desparto social do nome.
O teatro épico de Brecht
(2000)
This article is a reduced version of the chapter "Sinta o drama" from the book with the Same title. It traces Brecht's reasons for qualifying his theater as epic, based on important literary critics such as Peter Szondi, Adorno. Lukács and Anatol Rosenfeld, including Brecht himself.
Voltaires Verwirrung
(2011)
Ausgehend von einer Anekdote über den 80 Jahre alten Voltaire hebt Fabio Camilletti die Wiederholungserfahrung als zentralen Aspekt des Unheimlichen hervor. Den Philosophen Voltaire, der durch den Anblick eines abendlich betenden Mädchens plötzlich beunruhigt und schockiert wird, versteht Camilletti als eine vielsagende Figur der ängstlichen Verzauberung. Dieser Begebenheit folgend untersucht der Beitrag das Unheimliche im Primitivismus des 19. Jahrhunderts und macht deutlich, dass die jeweiligen Bestrebungen, die Vergangenheit wiederzubeleben, mit Rückgriff auf die Struktur des Verdrängungsprozesses interpretiert werden können.
The article compares the aesthetic notions of the "je ne sais quoi" (as it emerges in the Renaissance and is widely debated in the eighteenth century) and of the 'uncanny' as theorized by Ernst Jentsch and Sigmund Freud in the early twentieth century. Its hypothesis is that both notions, in situating aesthetic experience in a liminal space between pleasure and trouble, can be considered after-images of non-aesthetical notions - notions that belong to the domain of the sacred and have metamorphosed as forms of aesthetic undecidability through the paradigmatic fracture of early modernity. The article focuses on depictions of female figures directing their gaze upward - in the iconography of Sade's Justine, in popular imagery connected with Lourdes apparitions (1858), in medium photography, and in the images taken by Charcot of his hysterical patients at the Salpêtrière - and argues that they become a Warburgian Pathosformel indicating a space of undecidability and 'nonsense' between the subject and otherness.
Between 1816 and 1821, the philologist François Raynouard (1761–1836) published a "Choix des poésies originales des troubadours". His connections with Madame de Staël's cultural circle at Coppet determined the construction of the myth of courtly love as a forerunner of Romantic love. [...] Acording to this cultural tradition, Dante is an intermediate (although pre-eminent) step in the history of Western desire, a process begun in medieval Provence and revitalized by European Romanticism. When Lacan approaches Dante, it is therefore one Dante - this Dante - that he is approaching. The present essay, in which Fabio Camilletti analyses three tightly interwoven texts, explores some of the reverberations of this encounter. In 1958, Lacan published in "Critique" an article entitled 'La jeunesse d'André Gide, ou la lettre et le désir'. This text, later included in Lacan's "Écrits", was meant to be a review of a biography of the young Gide published in 1956 by Jean Delay, entitled "La jeunesse d'André Gide". In comparing Gide's life with his works of youth, Delay notably focused on Gide's novel of 1891, "Les Cahiers d'André Walter", the third text on which Camilletti focuses his inquiry. These three texts evoke in various ways the relationship between Dante and Beatrice, using it as a cultural allusion through which specific problems of sexuality (or, better, of the absence of sexuality) are conveyed. This essay aims therefore to be a study in the rhapsodic and subterranean presence of Dante and the "Vita Nova" between the end of the nineteenth and the twentieth centuries, as well as in the relationship between literature and psychoanalysis through the quartet Dante-Gide-Delay-Lacan.
Der moderne Roman ist [...] eine Form vergegenwärtigter Zukunft in dem erläuterten Sinne und stellt sich darin dem traditionalen Erzählen entgegen, das ein Vergegenwärtigen des Vergangenen war. An dieser innerliterarischen Kehrtwende im Narrativen lässt sich ablesen, was bei der Heraufkunft des prognostischen Präsens auf dem Spiel steht. Mit der Entsprechung und der Gegenüberstellung von historischem und prognostischem Präsens hat es darum die zweite Überlegung zu tun. Sie macht in der vergegenwärtigten Zukunft den inneren Zeitstil des modernen Romans aus. Einerseits hat sie es mit einem literarischen Sonderfall des prognostischen Präsens zu tun. Andererseits zeigt sich an diesem besonderen Fall aber auch erst die Bedeutung des prognostischen Präsens für unsere Kultur insgesamt.
Dieser Zusammenhang soll im Folgenden genauer erörtert werden. Den Anfang bildet ein Hinweis auf die Gegenüberstellung von Erzählen und Roman in dem Essay, den Walter Benjamin Nikolaj Leskow gewidmet hat (1). Danach folgt in zwei Schritten eine kurze terminologiegeschichtliche Charakteristik dessen, was hier analog zum 'historischen Präsens' das 'prognostische Präsens' genannt wird (anhand der augustinischen Zeittheorie [2] und im Hinblick auf die probabilistische Philosophie des 19. Jahrhunderts [3]). Am Ende wird die Erörterung noch einmal zur Frage des romanartigen Erzählens und seiner inneren Zeitform der vergegenwärtigten Zukunft zurückkehren (4).
Rüdiger Campe argumentiert für die Kontinuität der Rhetorik über die Zäsur von 1800 hinweg. Gegenläufig zu Martin Urmann setzt er jedoch an der bei Descartes und Lamy abgewerteten Übung an, die im Zuge der Bildungsreform endgültig von der Bildfläche verschwunden schien. In der Moderne knüpft allenfalls Raymond Queneau mit seinen "Stilübungen" (1947) an die sich in der französischen Tradition länger erhaltene Praxis an, aber das wohl eher unter ästhetischen als rhetorischen Gesichtspunkten. Dass die Überführung schulischer Übungen in ästhetische Verfahren und stilistischen Ausdruck im modernen Sinne einen Zusammenhang bilden könnten, den Baumgartens Ästhetik von 1750 noch einmal pointiert, war trotz der jüngeren Forschung zu Baumgarten, die seine Bedeutung für das Fortleben der Rhetorik in der Moderne immer wieder hervorgehoben hat, allenfalls zu ahnen. Der Zusammenhang war gleichsam blockiert durch die historische Zäsur, die Rhetorik von Stil trennt, denn in der Folge hat Stil es nicht mehr mit rhetorischen Regeln, sondern mit Dialektiken von Norm und Abweichung zu tun. Diesen ganzen Bereich nennt Campe die taxonomische Dimension des Stils. Und sie trägt auch Verantwortung für die im 20. Jahrhundert notorische Inkriminierung von Stil als verkapptes Machtinstrument. Sehr deutlich wird diese Abwehr beispielsweise an Theodor W. Adornos gespaltenem Verhältnis zum Stil. Campe ergänzt die taxonomische Dimension des Stils um eine praxeologische - prominent verkörpert im Begriff der Schreibszene - die direkt aus der rhetorischen Praxis kommt. Was später Stil sein wird, ist in der Rhetorik nicht in den Regelwerken, weder in der Tropenlehre noch in den 'genera dicendi' zu suchen, sondern in der Praxis, die 'hexis' heißt und eigentlich das Wesen der Rhetorik ist. Dem Eindruck eines radikalen Bruchs entgegen hat das Üben nicht aufgehört und insistiert noch dort, wo es mit 'Werken' im modernen Sinne um etwas anderes zu gehen scheint.
Este artigo tem como objetivo proceder a um breve levantamento do gênero tragédia e verificar até que ponto ele está realmente representado no Iluminismo e no Classicismo alemão dentro da obra de G. E. Lessing e de F. Schiller. Para tanto, é necessário recuarmos no tempo até a Antiguidade clássica e estudarmos os fundamentos desse tipo de texto. O exame de alguns títulos dos autores propostos será, antes, devidamente respaldado pela apreciação de dois estágios da história da tragédia: em Shakespeare e Racine.
Este texto tem por objetivo recontextualizar uma das teorias literárias mais produtivas surgidas na segunda metade do século XX, na medida em que ela interagiu com conceitos filosóficos amadurecidos na mesma época. Em particular, pretendemos discutir o modo como a Estética da Recepção, desenvolvida ao longo dos anos 1960 e 1970, na Universidade de Konstanz, pôde e ainda pode proporcionar iluminações à literatura quando associada aos estudos de Jürgen Habermas junto à Escola de Frankfurt, também ao longo daquelas décadas e das seguintes.
This article deals with experimentation in contemporary German theatre, making a survey of experimental elements in German and Brazilian stagings, particularly of Shakespearean texts, which took place from 1990 to the present. The survey has been based on the analysis of reviews published in newspapers and magazines in both countries, and also on video recordings of two German and one Brazilian stagings. The article describes the concepts of experimentation and convention developed in the study, presents the results of the research and discusses the appropriation of these elements, especially the experimental ones, in the contemporary Brazilian and German Theater.
Zwar verfasste und veröffentlichte Schlegel das Gros seiner Schriften auf Deutsch, mehrere wichtige Publikationen erschienen aber auf Französisch und Latein. Schlegels berühmte Übersetzungsleistungen und seine mehrsprachige Publikationspraxis legen die Vermutung nahe, er habe sich als Selbstübersetzer betätigt, um etwa seine deutschsprachigen Schriften für ein internationales Publikum zugänglich zu machen. Dies ist jedoch nicht der Fall: Entweder wurden seine Schriften von Dritten übersetzt, mit oder ohne Mitwirkung des Autors, oder er selbst hat die jeweilige Schrift direkt in der Fremdsprache verfasst. Diese Sprachwahl ist meines Erachtens ein wesentlicher Grundzug von Schlegels Publikationsstrategie. Schlegel übersetzte seine Schriften weder selbst noch gab er sie als Selbstübersetzungen an. Und trotzdem lässt sich bei Schlegel das Phänomen der Selbstübersetzung feststellen. Denn er übernahm frühere Gedanken, Ausdrücke und Botschaften in neue, in einer anderen Sprache verfasste Schriften und passte sie dem Zielpublikum an. So tauchen äquivalente Textpassagen, seien es einzelne Sätze, seien es ganze Absätze, in Texten auf, die in unterschiedlichen Sprachen verfasst wurden. Diese Selbstübersetzungen spiegeln auf einer interlingualen Ebene die enge intertextuelle Vernetzung seines scheinbar disparaten Werks wider und sind eng mit analogen intralingualen Verfahren wie Kommentieren, Paraphrasieren, Zusammenfassen oder Zitieren verbunden, die Schlegels Schreib- und Arbeitsweise prägen. Seine Texte zeichnen sich durch eine starke Selbstreferenz aus, die über die häufig vorkommenden und selten ausgewiesenen Selbstzitate sowie die Übernahme und Weiterentwicklung bereits an anderer Stelle ausformulierter Gedanken hinausgeht. Zunächst soll Schlegels selbstreferentielle Schreibweise anhand eines kurzen zweisprachigen Textvergleichs veranschaulicht werden (I.). Anschließend wird im Hauptteil dieses Beitrags (II.) Schlegels Selbstübersetzung anhand der "Comparaison entre la Phèdre de Racine et celle d'Euripide" und der Wiener Vorlesungen "Über dramatische Kunst und Literatur" beleuchtet. In einem abschließenden Abschnitt (III.) soll die mehrsprachige Publikationspraxis hinterfragt und die Bedeutung der Sprachwahl für Schlegels Denken erläutert werden.
Die Wissenschaftshistorikerin Jimena Canales setzt Benjamins Kunstwerk-Aufsatz und die "Kleine Geschichte der Photographie" in ihren wissenschaftshistorischen Kontext. Seine Reflexionen zur Fotografie stehen, so Canales, paradigmatisch für eine veränderte Wahrnehmung der Fotografie, die von den Zeitgenossen nicht länger als originalgetreue, sondern künstliche Abbildung der Wirklichkeit angesehen wird. Benjamins Analogie von Fotografie und Psychoanalyse nimmt Canales zum Anlass, die Trennung von Natur- und Geisteswissenschaft und die damit verbundene strikte Abgrenzung von hermeneutischen und experimentellen Methoden in Frage zu stellen.
[...] Kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler verkörpert die Leidenschaftskomponente des französischen Wagnerismus mit ihrer Verquickung von Ablehnung und Bewunderung, von partieller Unwissenheit und tiefer geistiger Verbundenheit besser als Stéphane Mallarmé. […] [S]ein Wagner-Tableau scheint symptomatisch einerseits für die Übertragungsmechanismen jener elektrisierenden künstlerischen Substanz aus Deutschland und andererseits für die Modalitäten ihrer Integration in eine ihr fremde intellektuelle Landschaft. Aus diesem Grunde ist es auch nur schwer nachvollziehbar, dass bis heute die Beziehung des französischen Dichters zum Parsifal-Komponisten den weniger bekannten Seiten der Geschichte des Wagnerismus in Frankreich zuzurechnen ist. Die „Rêverie d’un poète français“ und die „Hommage à Wagner“ haben sich in der Wagner-Forschung nie jener Beliebtheit erfreut, die ein Thomas Mann oder […] Baudelaire, in den letzten Jahrzehnten genossen haben. Die hermetische Dignität der Texte Mallarmés mag hierfür sicherlich eine Erklärung sein. Dennoch wäre es bedauerlich, Mallarmé nur einigen wenigen Lyrik-Spezialisten zu überlassen, die sich oft damit begnügen müssen, die Missverständnisse des Dichters zu perpetuieren, ohne dabei nach tieferen Zusammenhängen suchen zu können, deren Bedeutung jedoch, gerade im Hinblick auf die unterschiedlich gearteten intellektuellen und kulturellen Kontexte beider Künstler, besonders aufschlussreich sein könnten. Dementsprechend soll im weiteren Verlauf versucht werden, den »gravierenden Konflikt« (Philippe Lacoue-Labarthe) zwischen Wagner und Mallarmé neu zu deuten und besonders den ästhetischen Standpunkt des Komponisten zur Geltung kommen zu lassen. Hierdurch kann schließlich vermieden werden, dass, wie so oft, die Auseinandersetzung des französischen Dichters mit der Kunst Richard Wagners zur Philippika gegen die Anmaßungen des deutschen Gesamtkünstlers umfunktioniert wird.
Kinetic and programmed art has been a trend of contemporary arts that flourished in the 1950s and 1960s. Kinetic artworks often incorporated technology, at that time still immature, and involved the audience in the production of visual, sound, and somatic effects. Gruppo T was the pioneering group at the forefront of this groundbreaking vision of art as reproducible, participatory, and interactive. Through an action research project and the methodological tool of reenactment, a group of researchers, designers, and artists has proposed an alternative way to conserve Gruppo T artworks. The project 'Re-programmed Art: An Open Manifesto' originated from the ephemeral and experimental features, as well as fragility, of the works by Gruppo T - that is, from the difficulties of practice, conservation, technology, and market that have confined them for far too long to the margins of mainstream art history. We conceive reenactment not just a mere restaging but as re-designing, re-thinking, updating, and reprogramming a series of works by Gruppo T.
People who learn Portuguese usually have difficulties in using two of the most frequent verbs of the Portuguese verbal system: ser and estar. Native speakers of German for example fail to easily identify the differences between these verbs, which are compared with the German verb sein. Our purpose is to describe these verbs, their meaning and function, and also to attempt to find criteria to help learners to identify the differences to use these verbs. Some of the differences can be explained by the speakers experiences and the context.
A tradução parece trazer dificuldades que exigem soluções diversas que, escolhidas contigencialmente, podem ter implicações históricas e políticas duradouras. A tradução da Bíblia por Lutero é um exemplo marcante da força histórica da tradução e das polêmicas quanto à sua forma. Em "A Tarefa do Tradutor", Benjamin estabelece duas temporalidades distintas para a vida de um texto literário e a de suas traduções, instaurando um debate a respeito dos diferentes tempos históricos que atravessam um texto, em sua relação com as diferentes línguas. A partir dessas considerações, nos propomos a discutir certas dificuldades concretas experienciadas na tradução de citações de uma obra literária dentro de um texto crítico de Benjamin, "Am Kamin", um dos textos em que desenvolve sua teoria do romance. Como traduzir hoje as citações que Benjamin faz do romance "The old wives tale" de Arnold Bennet, citações da tradução para o alemão dos anos 1930, de um texto inglês de 1908 que emula um narrador do início do século XIX, e que não foi ainda traduzido para o português? Por fim, apresento o texto traduzido, "À Lareira".
Ausgehend von einer Definition von Themenparks als Heterotopien entwickelt der Beitrag ein vierstufiges Modell geschichtstransformatorischer Strategien, die in Themenparks einen affektiven Zugang zu einer ideologisierten, kommodifizierten und präsentifizierten Vergangenheit ermöglichen. Diese grundlegende Neukonzeption von Vergangenheit, die sich allenfalls punktuell an Maßstäben von Authentizität orientiert, gleichwohl jedoch als ungemein wirkmächtig erachtet werden muss, verortet der Beitrag in einer breiteren ästhetischen und kulturellen Entwicklung der Postmoderne, die als 'affective turn' bezeichnet worden ist. Das Modell der geschichtstransformatorischen Strategien wird in der Folge anhand von zwei Fallbeispielen - Main Street, U.S.A. in Disneyland und Grecia in Terra Mítica - illustriert, wobei besonders auf den historischen und kulturellen Kontext der Parks eingegangen wird, der bei Geschichtstransformationen in Themenparks eine kaum zu überschätzende Rolle spielt.
Während und nach dem Zweiten Weltkrieg sind über 12 Millionen Deutsche aus dem ehemaligen deutschen Osten geflohen und vertrieben worden. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich darauf, wie diese dramatischen Vorgänge die Grenze zur Literatur überschritten haben und im Roman "Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland?" des Schriftstellers Arno Surminski erzählt wurden. Schon im Titel des Werkes wurde ein deutlicher geographischer Hinweis auf den Schauplatz des Surminski-Romans gegeben. Diese Provinz Ostpreußens war ebenso wie Westpreußen, Schlesien, Pommern und Brandenburg, das östliche Teil des einstigen Ostdeutschlands. [...] Bei der Flucht und Vertreibung der Deutschen aus diesem historischen deutschen Osten, die von vielen Historikern als eine der größten Migrationen der Geschichte Europas angesehen wird, handelt es sich um einen sehr komplexen Prozess. Er kann grundsätzlich als eine ethnische Säuberung klassifiziert werden, da es sich um die gewaltsame Umsiedlung einer ethnischen Gruppe von einem Land in ein anderes Land handelt. Ein solches Phänomen war nicht keineswegs einmalig in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Man denke z.B. an die Deportationen der Armenier in den Jahren 1915 und 1916, oder an den Vertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923, der die Flucht und Vertreibung von circa 1.200.000 Griechen und 400.000 Türken als ein Austausch der Religionen sanktionierte, und der unter Vernachlässigung seiner offensichtlichen negativen Konsequenzen später als Beispiel verwendet wurde, die Vertreibung der ostdeutschen Bevölkerung am Ende des Zweiten Weltkriegs zu rechtfertigen. Der Schlüssel zum Verständnis des Prozesses liegt in der Geschichte, daher ist die historisch und politisch bedingte Motivation zu untersuchen, welche im Werk von Arno Surminski zur strafenden Vorgehensweise durch die nicht-deutsche Bevölkerung gegenüber den Deutschen führte, die damals die deutschen Ostgebiete bewohnten.
Published in 1991, "Tous les matins du monde" of Pascal Quignard made to appear a real still life from Lubin Baugin called "Le Dessert de gaufrettes" (Musée du Louvre). The importance of this painting in the novel - both narrative and symbolic - is crucial. Baugin's painting constitutes indeed a genetic matrix that must be examined in order to better understand the trajectory of "Tous les matins du monde", insofar as it incites and initiates writing, thereby acquiring a singular hermeneutic depth.
A influência de Bertolt Brecht sobre Walter Benjamin é comumente atribuída à assimilação da tradição de crítica marxista pelo último. O presente artigo busca realizar uma crítica imanente e teórica da obra de ambos com o fito de investigar outras faces possíveis dessa influência. Sendo assim, o objetivo é demonstrar que o "Efeito de distanciamento" (em alemão "Verfremdungseffekt") utilizado por Brecht em seu teatro épico tem um papel fundamental na leitura que Benjamin fará do cinema e aparece nas quatro versões do ensaio sobre "A obra de arte na época de sua reprodutibilidade técnica", bem como na sua teoria sobre a "aura".
"Idiom", "Trauerspiel" und "Dialektik des Hörens" sind die Überschriften der drei Teile dieses Beitrages, der Benjamins Rezeption im Werk Luigi Nonos behandelt. Genauer gesagt: Es handelt sich eher um die verblüffende Konvergenz von Nonos Denken mit Benjamins Philosophie, unabhängig davon, ob, wie, wann und in welcher Breite Nono sie sich bewusst angeeignet hat. Zwischen ihnen steht ein Exkurs über die Idee des opus perfectum et absolutum und dessen Entfaltung vom 'organischen' zum 'autopoietischen' Werkbegriff, dem Nono sich widersetzt.
The "World Geography" ("Wanguo dili quanji" 萬國地理全集) published in 1844 by the Protestant missionary Karl F.A. Gützlaff was the first geographical account to introduce some European ethnotypes to China. Based on recent archival findings, my article compares this book with both its presumed Western source and its rendering in the 1847 edition of Wei Yuan 魏源's "Maps and Documents of the Maritime Countries" ("Haiguo tuzhi" 海國圖志). It thus explores the role that interlingual and intralingual transfers respectively played first in negotiating and then renegotiating two European stereotypes in their early travels to and within the Qing empire.
Der Beitrag besteht aus Cassins Zitatsammlung, die ihrem Versuch zugrunde liegt, die Psychoanalyse, ausgehend von der antiken, von Aristoteles und Platon gleichermaßen bekämpften Sophistik, zu denken. Dabei werden vor allem die Spuren herausgearbeitet, die die Sophistik im Werk Jacques Lacans hinterlassen hat. In spielerischer Weise wird die Sophistik aus dem Schatten der aristotelischen Metaphysik hervorgeholt und die Psychoanalyse, insbesondere diejenige Lacan'scher Prägung, als radikale Setzung auf die Wirkung des Buchstabens in neuem Licht dargestellt.
'The Staircase Wit; or, The Poetic Idiomaticity of Herta Müller's Prose' explores idioms and 'Sprachbilder' as poetic views of the mother tongue. This exploration involves a special focus on Müller's Nobel lecture, considered as both a compendium and an enactment of her meditations on language, on the nature of writing, and on the creative process. While Müller frequently employs idioms in her articles, lectures, and novel titles, she never uses them in a superficial way or as a mere reproduction of common or daily speech. Rather, as this essay argues, idioms in Müller's prose are indicative of her attitude toward language and toward the mother tongue in general. In the Nobel lecture as well as elsewhere, idioms serve a dual, occasionally conflicting purpose, combining the need for the 'singularity' of aesthetic experience with the search for a new kind of 'conventionality'.
The present essay engages with the short story 'The Burrow', written by Franz Kafka between 1923 and 1924, a few months before his death. The ambiguity of the original title, 'Der Bau', which defies translation by pointing at the same time at a construction and an excavation work, anticipates the multilayered image of the burrow itself. While both nature and function of the burrow are hard to pinpoint (is it a dwelling, a shelter, a fortress, a labyrinth, a ruin?), the initially reported success of its construction is revealed as illusory, thus prompting the ongoing first-person narration of the incessant builder's work. Similarly unsuccessful is any attempt of the reader to attain metaphorical closure. In the light of other impossible, i.e., unfinished, bound-to-fail, ruinous, or selfdismantling structures portrayed by Kafka, as well as on the background of coeval texts by Paul Valéry and Georg Simmel, the essay investigates the wide and deep significance of the burrow’s countering the classical ideal of architectural wholeness.
"Untying the Mother Tongue" explores what it might mean today to speak of someone's attachment to a particular, primary language. Traditional conceptions of mother tongue are often seen as an expression of the ideology of a European nation-state. Yet, current celebrations of multilingualism reflect the recent demands of global capitalism, raising other challenges. The contributions from international scholars on literature, philosophy, and culture, analyze and problematize the concept of 'mother tongue', rethinking affective and cognitive attachments to language while deconstructing its metaphysical, capitalist, and colonialist presuppositions.
A emancipação do indivíduo (e, mais precisamente de um tipo específico de indivíduo, a saber, o "burguês") é o principal ponto de convergência entre duas obras da literatura europeia setecentista (seja insular, britânica, seja continental, alemã). São elas: "Robinson Crusoé" (1719), de Daniel Defoe, e "Os anos de aprendizado de Wilhelm Meister" (1795-1796), de Johann Wolfgang von Goethe. Em seu cerne, ambas enfocam a formação do indivíduo por meio do deslocamento geográfico, dizendo respeito não apenas a um processo de desenvolvimento pessoal, interno, mas também a uma dimensão sócio-cultural mais ampla, englobando os avanços da industrialização e as aspirações da sociedade de seu tempo. Juntos, o romance de formação ou "pedagógico" ('Bildungsroman'), bem como a viagem de formação ('Bildungsreisen') se entrecruzam em um ponto onde o sujeito burguês busca se afirmar em uma sociedade cada vez mais competitiva, desigual, em que o o indivíduo precisa descobrir a si mesmo (saindo de seu meio, ressalte-se), na busca do alcance de uma formação pessoal - seja para se coadunar com o que a nova sociedade industrial em ascensão espera dele ou para conseguir se opor aos valores dela. Tal tensão, no caso de Goethe, é evidenciada por meio da oposição do protagonista, Wilhelm (o burguês que busca seguir as próprias aptidões, independentemente do desejo de acúmulo de bens, apoiando-se em uma "ilha humanista" representada por uma sociedade secreta) ou o personagem Werner, o tipo burguês que busca de modo exclusivo o lucro em tudo o que faz. Em suma, tem-se um representante da chamada 'Bildungsbürgertum' (burguesia da cultura) e outro da 'Besitzbürgertum' (burguesia da propriedade), respectivamente. Este último, a propósito, tem suas raízes literárias na figua de Crusoé, cuja popularidade perdura até os dias de hoje. Desse modo, este trabalho busca apresentar de que modo as transformações sociais ocorridas no século XVIII impactaram na tradição literária, representada por meio de dois nomes exponenciais da narrativa de ficção envolvendo formação individual e deslocamento geográfico, contribuindo para uma discussão a respeito do individualismo econômico. Para tanto, buscou-se o aporte teórico de autores como Franco Moretti (2014), Benedict Anderson (2008), Walter Benjamin (2012), Georg Lukács (2009), Thomas Mann (2011) e Ian Watt (2010), que aponta a referida obra de Defoe como responsável por iniciar a tradição do romance como gênero.
Mais do que um princípio formal, a noção de ensaísmo de Robert Musil adquire o duplo estatuto de uma "utopia" e de uma atitude diante da realidade. É esse duplo viés que permitirá à arte preservar-se como potência crítica e epistemológica num contexto de crise cultural e de valores na Europa no início do XX. Este artigo aborda a noção de ensaísmo de Musil a partir de seus textos críticos e de seu romance "O homem sem qualidades", demonstrando como as idéias expostas no registro estritamente "ensaístico" se configuram no âmbito da representação poética, consumando assim a "utopia" pretendida pelo autor, de fundar novas relações entre as esferas da razão e do sentimento, da ciência e da arte, da objetividade e da subjetividade.
In scholarly discussions, ancient didactic poetry is sometimes considered a 'technical' form of literature. The 'technical' aspect of didactic poems would seem to concern mainly their contents, not the poems' form, which is described instead as literary. And so, didactic poetry appears to be both 'technical' and, at the same time, more than just technical. To what extent were didactic poems considered 'artistic' in our modern sense? Or should we call them simply 'technical' poems in the sense that they deal with 'techne' as a form of practical expertise? Was the 'art' of ancient didactic poems one specific domain that ancient audiences easily identified? Or was this somewhat unclear? These are some of the key questions that I am concerned with, as I wish to explore to what extent the ancient poets themselves utilize the idea of 'techne' and what is the added value that the concept of 'techne' brings to their poetic works. I will present three authors to address these questions, namely in order: Ovid, whom I take as example of a poet who grandly advertises the presence of 'ars' in his poem; then, Archestratus of Gela, the first, partly extant poet to write 'didactic poems' in Greece in the manner that will impose itself in the following centuries, and an early example of how this poetry engages with what idea(s) about 'ars'; and, lastly, Aratus of Soli, the likely most canonical author of this type of poetry in Antiquity. This selection of authors, to be sure, does not provide a full picture of didactic poetry in Antiquity, with all its peculiarities. But it does have some paradigmatic meaning for two reasons. First, Archestratus and Aratus are significant within the history of didactic poetry, as I anticipated, because the former is a pioneer in this genre and the latter is a widely popular and influential author. Thus, analysis of their poems is useful to understand also certain features of the didactic genre more in general. Ovid's "Ars Amatoria", on the other hand, while perhaps being less influential for the whole history of the genre, becomes paradigmatic in so far as one explores the issue of didactic 'art'. For, this work features the topic of 'techne' much more extensively than many other didactic poems. But before I move to these authors, I wish to make a preamble about ancient didactic poetry as genre. For one might then wonder whether these questions about didactic poetry and 'techne' would find an easy solution if one considered first the meaning and category of the 'didactic' - a name that by itself seems to evoke the idea of knowledge and the sharing of a certain form of expertise.
Der Beitrag führt ein in ein am Münsteraner Sonderforschungsbereich 1385 Recht und Literatur entwickeltes Dissertationsprojekt, dessen Ausgangspunkt der bisweilen auftretende Kollisionsfall zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit darstellt. Konkret wird die Frage diskutiert, inwiefern fiktionale Texte persönlichkeitsrechtsverletzend sein können.
Interkulturelle Literatur
(2008)
Eine Lösung zum umstrittenen 'Bezeichnungswirrwarr', mit dem die Literaturwissenschaft die interkulturelle Literatur zu erfassen trachtet(e), scheint es noch nicht zu geben. Das anfänglich kaum beachtete, mit der Zeit jedoch an die Öffentlichkeit tretende Phänomen der interkulturellen Literatur entstand in den siebziger Jahren in den Kreisen der ausländischen Arbeitskräfte, die in den Jahren des deutschen ökonomischen Booms angeworben wurden. "Gastarbeiterliteratur", "Literatur der Betroffenheit", "Migrantenliteratur", "Migrationsliteratur" und "Auslainderliteratur" stellen einige Beispiele der Benennungsversuche dieser Literatur dar, die sich nicht eindeutig mit der Kategorie der Nationalliteratur erfassen läßt. Obwohl diese Begriffe sich als problematisch erweisen, scheint ihre Existenz in der literaturwissenschaftlichen Diskussion so hartnackig verwurzelt zu sein, daß neue Versuche, dieser Literatur begrifflich gerecht zu werden, immer noch ins Leere laufen. An dieser Stelle sei ein Blick auf einige dieser Ansätze geworfen.
Daß in Italien im Laufe der Jahrhunderte nicht nur "Zitronen" und "Orangen", sondern auch - mit "vollkommener Unverschämtheit" - "Pomeranzen", "Anemonen", "Faschisten" und sogar "Zertissen" blühten, mag jedem Literaturwissenschaftler, der sich entweder mit parodistischen Texten oder mit dem Thema der Italienreise beschäftigt (hat), bekannt sein. Aber daß dort auch einmal Gastarbeiter (nicht) haben blühen können, mutet vielleicht etwas unerwartet an. Die chronologisch jüngste Parodie zu Goethes berühmtem Mignon-Lied ist tatsächlich eine weitgehend unbekannte und erschien lautlos in der 1984 veröffentlichten Gedichtsammlung 'Mein fremder Alltag' vom italienischen deutschschreibenden Dichter Gino Chiellino.
Hier Chiellinos Parodie 'Listige Gesichter' / (für J.W.v.G. in voller Wut):
Weißt du von einem Land, wo
das Leben billig, sehr billig für dich ist
und Sonne dazu?
Siehst du das Land
durch das du mit dem Film im Kopf
die Kamera am Hals
von der Sonnenbrille abgeschirmt
läufst?
Frauen am Fluß
Männer auf der Piazza
Kinder, die im Dreck spielen
listige Gesichter
auf leuchtenden Dias
stillen deine ästhetische
Sehnsucht nach Armut.
Nicht dies,
nicht dies ist das Land
wo die Gastarbeiter blühen!
Walter Benjamin fordert, die "undialektische Trennung zu überprüfen, die man zwischen Natur- und Geisteswissenschaft zu etablieren suchte". Damit beabsichtigt er, die Geisteswissenschaften zu modernisieren, deren wahre Bestimmung er in der Auseinandersetzung mit den aktuellen Phänomenen der Gegenwart sieht. Im Aufsatz wird gezeigt, dass Benjamin die Trennung von Natur- und Geisteswissenschaft mithilfe der dialektischen Methode, die er dem historischen Materialismus entlehnt, zu überwinden beabsichtigt. Anstatt eines unversöhnlichen Gegensatzes geht er von einer Dialektik von Natur- und Geisteswissenschaften aus.
Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Kyung-Ho Cha widmet sich in seinem Beitrag Benjamins Reaktion auf die Entdeckung der Kernspaltung im Jahre 1938. Den Ausgangspunkt des Aufsatzes bildet der Vergleich zwischen der Methode, die seiner Arbeit am Passagen-Werk zugrunde liegt, und der "Methode der Atomzertrümmerung", womit er sich auf die Kernspaltung bezieht. Im Aufsatz wird gezeigt, wie Benjamin mit dem Begriff aus der Kernphysik die in der Geschichte verborgenen und unsichtbaren Energien zu erfassen versucht.
Von einem Absoluten zu einem Anderen : Celan und Blanchot: "Sprich als letzter, sag deinen Spruch"
(2009)
Dieses kurze Zitat aus dem 1980 veröffentlichten Essay von Blanchot "Die Schrift des Desasters" ist eine der vielen Überlegungen des Autors über den Holocaust. Jene eingehende Betrachtung Blanchots über «das absolute Ereignis der Geschichte», die sein ganzes Werk durchzieht, hat ihn dazu geführt, die Literatur neu durchzudenken und seine eigene Antwort auf die berühmt gewordene Frage Adornos zu finden. Mit seiner kurzen Erzählung "Der Wahnsinn des Tages" hatte der Autor und Essayist schon die Frage nach der Möglichkeit gestellt, eine Erzählung nach der Erfahrung der Shoah zu schreiben, es ging dabei um eine Art Geständnis des Schriftstellers über die Unmöglichkeit, weiterhin zu dichten. Somit wird das Fragmentarische in seinen Büchern immer wichtiger; die Entstehung und die Entwicklung dieses neuen Schreibens hängt auch mit einem ständigen Dialog mit einem anderen Denken, mit anderen Autoren zusammen, die für sein Werk von großer Bedeutung sind, wie z. B. Paul Celan.
Structural anthropology remains a hidden influence in Frantz Fanon's theory of the 'sociogenesis' of mental illness. This chapter outlines how Fanon's belief in the therapeutic capacity of 'socialization' critically absorbs Claude Lévi-Strauss's examination of the link between 'madness' and the symbolic structure of society. These innovations, Chamberlin argues, pushed Fanon to institute 'semihospitalization' as a radically dialectical method of treatment in his final role as a clinician at the Neuropsychiatric Day Centre in Tunis (1958–60).
This article reads Fred Moten's collection "B Jenkins" as literalizing the poetic appeal to the mother tongue to reveal its mediated essence. Approaching its first and last poems in terms of Friedrich Kittler's techno-psychological history of the family casts Moten's detuning of natural language in terms of cultural mastery streaked with affirmative disfluency. With the 'cant', slang slides towards a broader awareness of the limits of knowledge. There, language may emerge for perceiving the role of the technological mother tongue in our postnational age.
This essay on the nature of the boundary of the comics form is an analysis of US Congressman John Lewis’s autobiography March, which recounts his early days as a civil rights leader and is in the form of a comic or "graphic novel". A few key examples are examined in which normally distinct images and textual elements blend together thereby bringing into question the nature of the boundary in a more general sense as it functions in the comics. Some of the formal elements of the graphic novel analyzed by the essay include its symbolic composition, arrangement of panels and images, treatment of light and dark areas, deployment of racialized icons, and blurring of temporalities and history.
Der folgende Beitrag stellt die Frage nach der Aktualität Gadamers für die gegenwärtige Literaturtheorie. In einem ersten Teil wird das Hauptanliegen von Gadamers Philosophischer Hermeneutik im Hauptwerk „Wahrheit” und Methode deutlich gemacht und erklärt, warum für jenes die Poetik von solch zentraler Bedeutung ist. Im zweiten Teil werden drei Richtungen der Gadamerrezeption in der neueren Literaturtheorie skizziert – nämlich die Tendenz der literarischen Hermeneutik Gadamers Werk nicht als Interpretationslehre, sondern nur als Theorie des Verstehens zu betrachten, weiter die Ablehnung von Gadamers Verteidigung eines einheitlichen Sinnes des Kunstwerks in der postmodernen Literaturtheorie und schließlich die Übernahme einzelner Theoreme Gadamers im Rahmen der literaturgeschichtlich ausgerichteten Rezeptionsästhetik von Jauß. Im abschließenden dritten Teil wird in Abgrenzung zur Rezeptionsästhetik der Vorschlag gemacht, Gadamers Ästhetik und Poetik konsequent als eine Theorie des Lesens zu rekonstruieren und darauf hingewiesen, dass in der komplexen Struktur des Leseprozesses verschiedene in ihrem Charakter entgegengesetzt wirkende Momente von Gadamers Theorie integriert werden können.
Im Folgenden werde ich dem Konnex zwischen Blogging und Blogger (als Machtausübung bzw. als Machtinstanz) und den von der Staatsmacht unterstützten Narrativen und Deutungsmodellen anhand jener Weblogs nachgehen, die sich mit dem im Frühjahr 2014 begonnenen Krieg im Donbass befassen. Die Verschiebung des Fokus auf die Nachmaidan-Ukraine ist durch zwei Überlegungen bedingt. [...] Aus dem (eigentlich recht übersichtlichen) Korpus einschlägiger "creative workers' blogs" habe ich zwei Weblogs zur Analyse gewählt, die 2014 entstanden. Wie viele andere dieser Art wurden auch sie in Buchform veröffentlicht, was insofern günstig ist, als die für die Printveröffentlichung unerlässlichen Transformationen des Onlineoriginals die Einmischung des Machtdiskurses, insbesondere in Form der (Selbst-)Zensur, sichtbar machen. Konkret geht es um Olena Stepovas Weblog und Buch "Alles wird die Ukraine sein oder Die Geschichten aus der ATO-Zone" ("Vse budet Ukraina! Ili Istorii iz zony ATO", 2014) sowie um das Weblog Boris Chersonskijs und dessen Buchversion "Das offene Tagebuch" ("Otkrytyj dnevnik", 2015). [...] Durch den Vergleich dieser zwei so unterschiedlichen Blogkonvolute werde ich in zwei nachfolgenden Kapiteln die Darstellungen des Donbass bzw. der Südukraine als eines innerukrainischen 'Orients' und die damit verbundenen identifikatorischen Selbstverortungen der jeweiligen Blogger:innen vergleichend analysieren. Fokussieren werde ich mich einerseits auf die Abweichungen von den Mainstreamnarrativen, die eine mögliche subversive Dimension des Kriegsbloggings abstecken, andererseits auf die normativen Interpretationsmuster, die sich beide Blogger:innen im Zuge des Krieges zu eigen machen und die die anfängliche'Abweichung' eliminieren oder relativieren. Diese Anpassung an die vorgegebenen Deutungsmodelle werde ich dann im letzten Abschnitt als eine ambivalente Haltung untersuchen, die eine Wahrnehmung des Krieges als einer inneren Kolonisierung impliziert und diese mit Verhaltensweisen der Selbstkolonisierung zu neutralisieren versucht. Anschließend werde ich auf die innere Verbindung dieser doppelten Subalternität mit dem veränderten Status des Bloggings in der Ukraine nach 2013/14 eingehen. Es wird hierbei die These aufgestellt, dass die Selbstwahrnehmung des Landes als einer Postkolonie in der Krisensituation tendenziell eine innere Polarisierung hervorruft und dadurch die Blogger entweder zu einer defensiven oder zu einer offensiven Haltung zwingt, die jeden grundsätzlichen Dissens ausschließt.
Agent
(2018)
Seit einiger Zeit tümmeln sich Agenten in der deutschen Sprache, die dort eigentlich nichts zu suchen haben. Äußerst beunruhigend ist, dass sich dort sowohl 'virtuelle' als auch 'reale Agenten' finden, die in 'agentenbasierten Modellierungen' für die Simulierung der Interaktion in sozialen Netzwerken und als 'Bio-Agenten' in Form von Ameisen, deren Staaten 'Multiagentensysteme' repräsentieren, oder Schlauchpilzen (der Art 'Fusarium oxysporum') tätig sind, die Kokapflanzen noch bis tief in den Amazonas hinein verfolgen - und ganz unvermutet als 'Agenten des Wandels' im Ruhrgebiet wieder auftauchen, diesmal allerdings als Bezeichnung für eher harmlose Ökoprojekte. [...] Nach dem Beginn der Aufklärung hat sich der 'agent' bis ins einundzwanzigste Jahrhundert hinein auch noch in seinen verschiedenen Erscheinungsformen fast viral vermehrt.
Law is other wor(l)ds
(2022)
This paper turns to the thought of Yan Thomas to address the way of constructing categories and operating through them that is typical of law. The art of law displays a special quality: the reduction of the 'things' of the social world through the construction of categories, and the use of these same categories to conduct legal operations. The paper argues that the quintessential legal performance is instituting, and it finally asks how to exercise a legal imagination for Gaia.
Les études de la relation de Borges à Proust se divisent, pour l'instant, entre celles qui proposent une analyse des lectures et des influences (Craig et Marter) et celles qui font des deux auteurs les représentants de différents paradigmes poétologiques de la littérature moderne (Conley et Ventarola). A la croisée de ces deux approches se trouvent les questions de l'imitation de l'autre et de la lecture : dans quelle mesure leurs idées à ces sujets nous permettent-ils de comprendre le décalage des deux auteurs? En effet, la catégorie de l'ascèse et celle de la réception dessinent une image de l'auteur qui se trouve, chez Borges, à l'opposé de Proust. Tandis que le "moi" de Proust, moulé sur le moi empirique de sa propre personne, se présente comme le sujet d'une imitation créatrice, Borges s'éloigne de ce pilier porteur du texte pour proposer un "moi" fictif et métaphysique au lecteur ; un moi qui se multiplie selon les principes de la fiction et selon le pluralisme de la réception. Le fait que Borges ne paraît pas "avoir lu" Proust est un résultat de cette nouvelle perspective que Borges ouvre sur l'imitation et sur la lecture. En vue de celle-ci, l'oeuvre de Proust n’est plus une référence très utile pour les fictions d'un auteur qui, tourné vers la fonction du lecteur potentiel, efface sa propre identité empirique.
At the forefront of those who tenaciously pondered this issue are, I would claim, Walter Benjamin and Ludwig Wittgenstein. Benjamin and Wittgenstein both are philosophers of language who tried to establish in unique ways the doctrine of resemblance respectively: "Lehre vom Ähnlichen" and "[Lehre der] Familienähnlichkeit." What they see and find in language are not communication and mutual understanding but instead one of the weirdest phenomena in/of the world, viz., resemblance (likeness) in/of language. This phenomenon, I would insist, indicates the correlation of appearing and disappearing, of differentiating and integrating, and of dividing and imparting of language as such. For Benjamin and Wittgenstein, to sum up, language is a paradigmatic paradoxical site of (dis)appearance, differentiating integrity, and divisive imparting. For this reason, it is worthwhile to pin down where their thoughts on language converge and where they diverge.
Karl Dedecius, 1921–2016
(2018)
Karl Dedecius gilt als einer der produktivsten deutschen Übersetzer polnischer Literatur und als herausragende Persönlichkeit des deutsch-polnischen Dialogs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er starb am 26. Februar 2016 hochbetagt in Frankfurt am Main und hinterließ ein umfangreiches Œuvre, das ca. 200 übersetzte Bücher polnischer und russischer Literatur (darunter zahlreiche Anthologien) sowie mehrere essayistische Werke umfasst. Das Kernstück bilden die 50 Titel der von ihm initiierten und herausgegebenen "Polnischen Bibliothek" (1982–2000) sowie die sieben jeweils ca. 900 Seiten starken Bände des "Panoramas der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts" (1996–2000). Die Liste der von ihm übersetzten Autoren umfasst gut 300 Namen.
This article aims to show that imagology is a promising method for analysing images of the European Other and the Turkish Self as expressed in Ahmet Hamdi Tanpınar's novel "Huzur" (1948; trans. "A Mind at Peace", 2007). The narrative challenges the rhetoric of early Turkish nationalism by promoting a synthesis of the national present with both the melancholically evoked Ottoman heritage and with European cultures. At the same time, the novel's protagonists stand for diverse and often contradicting conceptions of Self and Other and thus provide an insight into the various identity conflicts present in Republican Turkey.
Ausgangspunkt meiner Interpretation ist die der "Vertreibung" vorangehende Romantrilogie Robert Menasses; der Autor scheint nämlich eine ausgesprochene Vorliebe für Inversionen zu besitzen. Die sogenannte "Trilogie der Entgeisterung" umfasst neben "Sinnliche Gewißheit" (1988) die Romane "Selige Zeiten, brüchige Welt" (1991) und "Schubumkehr" (1995) sowie das in "Selige Zeiten, brüchige Welt" thematisierte und von Menasse anschließend selbst verfasste philosophische Werk der Romanfigur Leo Singer, die "Phänomenologie der Entgeisterung. Geschichte des verschwindenden Wissens" (1995). In der Trilogie wird mit der "Rückentwicklung […] vom 'Absoluten Wissen' […] zur 'Sinnlichen Gewißheit'" nicht nur die Inversion von Hegels "Phänomenologie des Geistes" (1807) vollzogen, sondern auch der "klassische Entwicklungsroman" wird in der Weise umgekehrt, dass das Individuum "eine Anlage nach der anderen, ein Talent nach dem anderen, eine Fähigkeit nach der anderen" verliert, bis es schließlich "eine verkümmerte Existenz" geworden ist. Meine Hypothese ist, dass auch im Falle der Vertreibung der Struktur des Romans zwei Inversionen zu Grunde liegen und dass hier ebenfalls eine prominente philosophische Vorlage von Relevanz ist, nämlich Walter Benjamins Essay "Über den Begriff der Geschichte" (1942).
Daniel Kehlmanns Erfolgsroman 'Die Vermessung der Welt' über die beiden Wissenschaftler Carl Friedrich Gauß (1777–1855) und Alexander von Humboldt (1769–1859) und deren historisch verbürgte Begegnung im Jahr 1828 anlässlich der 7. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Berlin wurde als postmoderner historischer Roman etikettiert. Kehlmann hat dieser Deutung durch seinen Essay 'Wo ist Carlos Montúfar?' (2005) selbst Vorschub geleistet. Dort beruft er sich nicht nur teilweise auf eben die Werke, die auch Linda Hutcheon, die den Begriff der historiographic metafiction maßgeblich prägte, als Beispiele dieses postmodernen Genres ins Feld führt (John Fowles' 'The French Lieutenant's Wife', E. L. Doctorows 'Ragtime' und J. M. Coetzees 'Mr. Cruso, Mrs. Barton & Mr. Foe'), sondern setzt sein Weglassen des (ab Quito) dritten Humboldt-Begleiters Carlos Montúfar in der Vermessung ausdrücklich in Analogie zu der nachträglichen Eliminierung Susan Bartons in Foes Geschichte von Robinson und Freitag bei Coetzee. Bei dem zeitgleich mit seinem Roman erschienenen Essay handelt es sich jedoch weniger um die Poetik der Vermessung, vielmehr verfolgt Kehlmann mit seiner Berufung auf die Theorie des historischen Romans der Postmoderne eine apologetische Intention: "Wäre er [Gauß] noch am Leben gewesen, so hätte keine ausgefeilte ästhetische Theorie mich [Kehlmann] schützen können - nicht vor einer Verleumdungsklage, nicht vor seinem Zorn." Wie nötig eine solche präventive Verteidigungsmaßnahme war, lässt sich anhand einiger wütender Kritiken ermessen, die trotz des Essays erschienen sind und die "hanebüchenen […] Fehler, Erfindungen und Verdrehungen" Kehlmanns in der Vermessung auflisten. Im Folgenden soll versucht werden, anhand einer Analyse des Romans dessen immanente Poetik freizulegen.
Das Verhältnis von Dichten und Denken ist eines der Verhältnisse, wenn nicht das Verhältnis, denen sich die Dichter und die Denker immer wieder zu widmen haben. Das Verhältnis von Dichten und Denken meint im Folgenden das Verhältnis zwischen einer literarischen Form des Denkens und einer theoretischen und systematischen Form des Denkens, die sich auf literarische Gebilde bezieht und sich dabei verändert. Mit dieser Relation erscheint zugleich auch die Beziehung zwischen geregelten und ungeregelten Formen des Denkens, wobei das Ungeregelte sich niemals in das Geregelte integrieren lässt. Dieses Verhältnis nun ist nicht eines, das man gleichsam von außen betrachten könnte, sondern vielmehr ist es eines, in das der Mensch schon immer hineingeraten ist, dergestalt, dass in der Relation von Dichten und Denken sich auf eine bestimmte Weise das Andere des Denkens mit dem Denken verbindet.
Überleben? : nach Auschwitz
(2011)
Es geht tatsächlich auch beim Nachdenken über 'Überleben' um Erfahrung und den Begriff der Erfahrung, einen qualitativen Begriff der Erfahrung, der ja in den Sozialwissenschaften immer wieder droht, aufgeweicht zu werden beziehungsweise diffundiert zu werden durch die Übermacht einer rein quantifizierbaren Empirie. Aber im Kern der Sozialforschung, gerade in ihrem kritischen Kern, steht die Kategorie der 'Erfahrung'. Erfahrung ist auch etwas, was über Personen vermittelt wird und vermittelt werden kann. Erfahrung kann auch die engen Grenzen überschreiten, die eine Aufklärung kennzeichnet, die sich bloß auf Texte bezieht. Erfahrung kann diese Grenzen überwinden. Auch die Enge kann überwunden werden, dass nur das mitgeteilt und auch verstanden werden kann, was individuell erlebt worden ist und in der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Subjekten überschritten werden kann. Zwar haben Horkheimer und Adorno immer einen Schrecken gehabt, wenn sie das Wort 'Kommunikation' gehört haben, aber hier geht es auch tatsächlich um eine Überschreitung, eine Überschreitung der Grenzen des Individuums.
Dieser Aufsatz untersucht die Frage, welche Rolle die verdeckte Kopräsenz visueller Medien in Rhys' Roman bei der zunehmenden Desorientierung und De-plazierung der Hauptfigur spielt. Mithin nimmt sich dieser Aufsatz vor zu zeigen, wie mediale Spannungsfelder zwischen Text und Bild in "Wide Sargasso Sea" die Grenzen aufrührerischer und dazwischen liegender Existenzen reflektieren. Konkret erzeugt der Roman eine Innen- und Außensicht von Antoinettes Metamorphose. Rhys' medienreflexive Verfahren in "Wide Sargasso Sea", so lautet die These, versinnbildlichen Antoinettes leiblichen Zerfall. Obwohl verbale Texte eigentlich die Wesenseigenschaft des Leibs nicht fassen können, vermag "Wide Sargasso Sea" mit Hilfe von verdeckter Intermedialität (von Bild und Wort) in der wechselnd homodiegetischen Erzählung das leibliche Erleben Antoinettes in der Form ihres zunehmenden Wahrnehmungs- und Sichtbarkeitsverlusts zu evozieren. Das Spannungsverhältnis von Bild und Wort im Roman legt den Leserinnen und Lesern im Zuge dieser ästhetischen Psychologisierung eine stete Weiterdifferenzierung nahe, welche Ambiguität vor Eindeutigkeit und Dissens vor Konsens setzt.
Der chilenische Autor Alejandro Zambra erzählt in seinem Roman Formas de volver a casa von einem Dreißigjährigen, der sich an das zu erinnern versucht, was er in seiner Kindheit nur sehr oberflächlich erlebt hat. Mit dem Nachholen seiner Erinnerungen möchte der Erzähler in sein gegenwärtiges Dasein eingreifen. Sein Ziel ist es, vom Nebendarsteller zum souveränen Protagonisten seines eigenen Lebens zu werden. Damit dieser Prozess beginnen kann, schreibt er zur Verarbeitung der eigenen Vergangenheit einen Roman über das Scheitern seiner Bildung. Da dieser jedoch im Rückblick zu neuen Perspektiven auf sein Leben gelangt, unterläuft er zugleich das Genre des Anti-Bildungsromans, indem der Moment der Bildung sich auf die nachholende Retrospektive verschiebt. Der vorliegende Artikel hat das Ziel, den Roman im Kontext der ästhetischen Bildungsidee zu diskutieren. Dieser Zusammenhang ergibt sich, wenn die Momente des Nachdenkens über die Vergangenheit als ein ästhetisch-literarisches Bildungserlebnis verstanden werden. Der größere Rahmen meiner Untersuchung ist somit folgender: Während der Bildungs- und Künstlerroman stets einen Protagonisten zeigt, der im Hinblick auf die Zukunft an seiner Bildung arbeitet, schafft Zambras rückblickende Erzählweise einen Protagonisten, der aus dem Scheitern heraus und in der Retrospektive einen Bildungsprozess durchlebt. Es soll demnach gefragt werden, ob auf diese Weise ein erfolgreiches Bildungsnarrativ entworfen wird, das nicht im Hinblick auf eine vielversprechende Zukunft beginnt, sondern in Bezug auf die Sichtbarmachung und Neuinterpretation der Vergangenheit. Den Rahmen für den Bildungsgedanken entlehne ich Schiller; der kritische Blick auf die Bildungsidylle kommt von Kleist.
Kafkas Romanfragment "Das Schloß" wird üblicherweise nicht mit einem persönlichen Handlungsspielraum oder Emanzipation in Verbindung gebracht. Und doch lohnt es sich, den Roman neu zu betrachten und die Frage zu stellen, ob man sich K. nicht auch als einen glücklichen Menschen vorstellen kann, dem sich durchaus ein Raum für Agency öffnet. Zwar ist die Schlosslandschaft, in der K. sich bewegt, alles andere als frei, und doch wird der Roman durch zahlreiche Ereignisse bestimmt, in denen K. auf eigentümliche Weise frei wirkt. [...] K.s Agency zeigt sich demnach vor allem dann, wenn man sich nicht so sehr auf seine absurde Unfreiheit, sondern eher auf seine absurde Freiheit konzentriert. Dieser Perspektivwechsel soll mit Hilfe des Konzepts des Institutionenromans vorgenommen werden. Es eignet sich nicht nur dazu, K.s Gefangensein auf dem Schlossterritorium zu analysieren, sondern ebenso, seinen geschickten Befreiungskampf in den Blick zu bekommen, indem man das Zusammenspiel von Arbeit und Müßiggang in unterschiedliche institutionelle Kontexte einordnet. K.s Freiheit taucht so in unübersichtlichen Schichtungen und Zusammenhängen auf und K. versteht sie zu nutzen, indem er sich, wie Kant es fordert, mit Entschlossenheit und Mut seines eigenen Verstandes bedient. Aufgrund der Gegenmacht des Schlosses kommt es aber auch zu 'Bedienungsfehlern' des Verstandes. Deshalb erzählt der Roman neben K.s Erfolgen auch von den Widerständen und Rückschlägen beim optimistischen Gebrauch der Kant'schen Aufklärungsformel. Den theoretischen Rahmen meiner Untersuchung bilden Konzepte, welche die Unterdrückung (Campe), Aushebelung (Vogl) und Förderung subjektiver Agency (Rancière) zum Thema haben.
Rezension zu Winfried Eckel, Carola Hilmes und Werner Nell (Hg.): Projektionen - Imaginationen - Erfahrungen. Indienbilder der europäischen Literatur. Remscheid (Gardez!) 2008 (= Komparatistik im Gardez! Bd. 6). 292 S.
Der Sammelband, der in Anschluss an das methodologisch orientierte, begriffsklärende Vorwort des Mitherausgebers Winfried Eckel insgesamt fünfzehn Aufsätze vorlegt, ist das Zeugnis einer immer regeren Kongresstätigkeit zur Indienrezeption und indienbezogenen Imagologie.
Entspricht das, was man in diesem Lande unter Intermedialitätsforschung versteht oder als solche betreibt, dem Lehr- und Forschungsbereich oder dem wissenschaftlichen Diskurs, der in den USA und anderswo vorläufig noch das Etikett "Interarts Studies" führt? Ich sage "vorläufig", weil dieses Etikett, wie noch zu zeigen ist, immer mißverständlicher und fragwürdiger wird und man vielleicht am besten den genannten Beispielen folgen und eine dem deutschen Usus nachgebildete Bezeichnung einführen sollte. Das erschiene aber wohl nur dann ratsam, wenn Intermedialitätsforschung und Interarts Studies in etwa deckungsgleich wären, wie Wolf und Wagner es voraussetzen, oder bei besserer gegenseitiger Kenntnisnahme von Intermedialitätsforschung und Interarts Studies man sie dazu bringen könnte, sich in Aufgabenstellung und Methodik und vor allem in der Wahl der Forschungsgegenstände einander weitgehend anzunähern. Vor allem aber ist zu klären, wie der Begriff "Intermedialität" verstanden wird und ob er so unproblematisch ist, wie es seine inzwischen gängige Verwendung aussehen läßt. Die folgenden Ausführungen können allerdings kaum mehr tun, als einige Antworten auf diese Fragen zu skizzieren.
Extrakt
(2018)
Marcus Coelen's essay 'An Eclipse of the Screen: Jorge Semprún's Scripts for Alain Resnais' starts from the assumption that the peculiar status of film scripts (not written to be read as such) can be illustrated by the figure of their eclipse. For they are, in inverting the very logic of the figure they invite, eclipsed for the sake of and by the fractured light on the screen they help to produce. Yet just as the sun, obscured by the 'black writing' of the moon, leaves an ephemeral contour in the skies - a spectacle to many when happening - so too can the script that is made to disappear by the screen be assumed to draw its own particular and even more vanishing traits into the movie that is given not only to sight but also to thought. The analyses and critical constructions proposed by Coelen try to detect such traits in the work of Jorge Semprún the screen writer. Writing not only for movies by Alain Resnais - most notably "La guerre est finie" (1966) and "Stavisky" (1974) - but also publishing versions of them after their release and calling those versions 'scénarios' despite various divergences and subtly violent inversions of the movies' images, the screenwriter's figure describes yet another twist of the eclipse. It can be assumed not only that Semprún strongly resisted the influence of the constellation formed by writing and cinematographic shooting, as well as projecting, but furthermore that this writing was almost imperceptibly yet essentially directed against the eclipse it was drawn into. No minor forces are conjured up in this enterprise. Driven by the desire to re-appropriate cinema's a-personal and anti-psychological movement, to domesticate the images of scribbling lights drifting away from the mental and into thought - as well as into a history not mastered -, Semprún attempted to shape mastery itself and most traditional forms of authorship, along with memory and agency, in order to cloud the eclipse of script - that is, we might add, to conjure up a ghost recovering the trace of what has been eclipsed so that it may continue to haunt.
Liebe, Situation, Sprache
(2013)
Der Trieb Salome
(2017)
Mit den Begriffen des Triebes und der Triebschicksale nimmt Marcus Coelen die wahrscheinlich meistdiskutierten Termini der Psychoanalyse neu auf. Er verleiht den Fragen nach Trieb und Triebschicksal neue Geltung, indem er sie mit derjenigen nach den Möglichkeiten der Darstellung, der Bildlichkeit, der Erzählung und Sprache verbindet. Trieblehre und Literatur als Analogon behandelnd, präpariert Coelen mit dem "Trieb der Salome" eine besondere Konstellation heraus, die Versuche der Darstellung und ihr Scheitern auf besondere Weise verkörpert und die - als Salome des Richard Strauss - der frühen Triebtheorie und Psychoanalyse um 1905 eine Art Schwester ist. Trieb und Triebschicksal müssen genauso Bewegung und Bemühen um Darstellung wie ihre Kehrseite bleiben.
Starting from the editorial committee's proposal concerning strategies for the recognition of Global South researches, in this letter I indicate a number of broader impasses related to neoliberal academia in a context in which ecological crisis emerges as a major crisis of capital. To do so, I resort to concepts drawn from feminist, decolonial, and post-structuralist literature and bring them into dialogue with a Marxist framework of analysis.
Drei Erfahrungsberichte über Bertolt Brechts Theater auf brasilianischen Bühnen. Caco Coelho spricht über den Zyklus der Brecht-Lesungen, -Aufführungen und -Vorträge seiner Theatergruppe 'Os Fodidos Privilegiados ' 1998 in Rio de Janeiro. Fernando Peixoto vertritt die Ansicht, daß der zentrale Punkt von Brechts Theater darin besteht, Emotionen im zwischenmenschlichen Verhalten und in ihren politisch-historischen Kontexten verstehbar zu machen. Er erzählt unter anderm von einer "Wiederentdeckung" der Brechtschen Theaterästhetik durch eine Laiengruppe in Amazonien und vertritt insgesamt ein undogmatisches, auf die heutigen Verhältnisse ausgerichtetes Lernen mit Brecht. Willi Bolle berichtet von seiner Inszenierung von Brechts 'Die Hochzeit ' (1919) mit einer Laien-Theatergruppe in São Paulo 1997-1998, in der die lineare Struktur des Textes durchbrochen wurde durch die Einführung einer neuen Perspektive sowie einer neuen Figur, der Braut, die sich das Hochzeitsfest in der Erinnerung vergegenwärtigt.
Ist es angemessen, "Der Mensch erscheint im Holozän" mit Flaubert Schlüsselwerk der Moderne zu vergleichen? Ein schmächtiges Büchlein mit einem vielhundertseitigen Roman? Seit wann wäre Umfang ein Kriterium? Frischs Erzählung, dies meine These, nimmt in der Belletristik der Spätmoderne eine ähnlich avancierte Stellung ein, wie "Bouvard und P#ecuchet am Beginn der Hochmoderne.
In Benjamins 1921 entstandenen Text Die Aufgabe des Übersetzers (GS IV), der ursprünglich als eine Art Prolog zu seiner Übersetzung von Baudelaires Tableaux parisiens gedacht war, ist die "reine Sprache" stets auf einen messianischen Horizont hin ausgerichtet. Demnach enthält jede Sprache ein ihr je eigenes Sagen-Wollen, das die Gesamtheit allen Sagen- Wollens aller Sprachen für sich allein auszudrücken imstande wäre. Daher stammt die Vorstellung, dass die reine Sprache an sich bereits eine Figur der Prosa der messianischen Welt sei. Sprachen aber unterliegen, wie Benjamin so wunderbar zeigt, ganz gegensätzlichen Bewegungen: Die einen nähern sich einander an, andere schließen sich gegenseitig aus. Sie tragen sich gegenseitig, sie wandern aus. Die Übersetzung schließlich nimmt sie bei sich auf und fügt wieder zusammen, was Benjamin die "Scherben eines Gefäßes" (18) der reinen Sprache nennt. So spricht er davon, dass das "was an Übersetzungen wesentlich ist" (12), zugleich unter dem Sinn eines Sprachgebildes "verborgen oder deutlicher" (19) sei.
Antoine Berman zeigt eindringlich, wie der Akt des Übersetzens nicht nur zwischen zwei Sprachen vollzogen wird, sondern dass es eine dritte Sprache gibt, ohne die jener nicht stattfinden kann. Genau an diesem Punkt treffen Benjamins Gedanken zur Übersetzung auf grundsätzliche Überlegungen zur Musik. Denn die dritte Sprache ist auf eine geradezu geisterhafte Art anwesend in der mündlichen Dimension eines Textes, die ein Autor in seiner Schreibweise bewahren will. Dieses Geisterhafte lässt sich nur in dem Sinne deuten, dass das schöpferische Subjekt allein nicht die Totalität seiner Äußerungen wiedergeben kann, es seine eigene Rede also nicht zur Gänze beherrscht. Im Gefolge Heideggers geht Gadamer gar so weit, von der Verblendung des schreibenden Subjekts zu sprechen. Nur ein Leser, aber mehr noch ein Übersetzer oder Hermeneut sei in der Lage, die implizite Historizität eines Textes zu entschlüsseln und so dessen Bedeutung zu ermitteln. Doch die Vorstellung, dass ein Text im Wesentlichen messianisch oder prophetisch sei, läuft jeglicher Deutungstradition zuwider. Benjamins Essay beginnt mit einem Postulat, der daran keinen Zweifel lässt: "Nirgends erweist sich einem Kunstwerk oder einer Kunstform gegenüber die Rücksicht auf den Aufnehmenden für deren Erkenntnis fruchtbar." (GS IV, 9–21, hier 9)
In this brief discussion, I reflect on the significance of using the category of the global south for reconfiguring the scope of the history of knowledge. While I see this as a productive paradigm shift that has already given rise to mould-breaking works, I focus here on the cross-hemispheric histories of extractive capitalism and how both colonial violence and anticolonial resistance have shaped knowledge-making. I argue that thinking through 'entangled ecologies' can be a tool for countering the existing conceptual order, which has led to the north-south division in the first place. Attending to epistemic and ontological entanglements would enable us to ask better and deeper questions about the increasingly complex interconnections across human and nonhuman worlds, especially given the planetary crises we face today.
This paper proposes a reflection on the potential of the chronotope as a heuristic tool in the field of adaptation studies. My goal is to situate the chronotope in the context of adaptation studies, specifically with regard to perhaps the most central treatise in the field of literary adaptation, Gérard Genette’s “Palimpsests: Literature in the Second Degree”, and to draw attention to perhaps one of the most overlooked works in the field of adaptation studies, Caryl Emerson’s chronotope-inspired “Boris Godunov: Transpositions of a Russian Theme”. I will demonstrate how the chronotope might be used in the study of literary adaptation by examining the relationships between Daniel Defoe’s “Robinson Crusoe”, its historical sources, and Michel Tournier’s twentieth-century adaptation of the Robinson story, “Friday”. My analysis draws upon three of the semantic levels of the chronotope presented in the introduction to this volume: (1) chronotopic motifs linked to two opposing themes: enthusiasm for European colonial expansionism and skepticism regarding the supremacy of European culture; (2) major chronotopes that determine the narrative structure of a text; and (3) the way in which such major chronotopes may be linked to broader questions of genre.
Die Hauptquelle für die romantische Wiederentdeckung der Renaissance ist zweifellos Vasaris 'Vite', welche im Cinquecento, in der gottesgesegneten 'aetas aurea' (durch die Werke des Trifoliums Raffael-Leonardo-Michelangelo verkörpert) die vollbrachte "Rinascita delle arti" erreicht sah. Das Wort "Rinascimento" wird von Vasari nie verwendet, dafür aber synonymische Wörter wie "Rinascita", "Resurrezione" und "Risorgimento". 1795 hatte aber der von den Romantikern so hoch geschätzte Revolutionsmann Condorcet in seiner "Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’esprit humain" (von Friedrich Schlegel prompt enthusiastisch rezensiert) die Renaissance reartikuliert – als vorletzte 'huitième époque' in jener langen Progression, die in die Französische Revolution münden sollte. Der in den frühromantischen Werken latente Bezug zwischen Renaissance und Revolution war den Romantikern wohl präsent, sodass F. Schlegels berühmtes Athenäums-Fragment, nach welchem die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes 'Meister' die drei großen Tendenzen des Zeitalters darstellen, durch eine vierte integriert werden könnte, die auf die Wiederentdeckung der Renaissance als wiedergewonnene "aetas aurea" hinweist.
This chapter argues that paying attention to the weather and its associated processes of geological, biological, and social weathering can destabilize knowledge traditions that insist on dichotomies. Looking to specific histories and current conditions in Guyana and Suriname, this chapter shows how notions of weathering can accommodate a wide range of referents, ranging from the weathering of rock to socio-political and historical afterlives of violent colonial displacements.
Ermuntert durch die zahlreichen "Finessen", die Fontane in seinen Romanen hinterlassen hat, läuft die Interpretation also grundsätzlich Gefahr, den Fundus der Prätexte ständig zu erweitern und intertextuelle Bezüge zu unterstellen, die womöglich gar keine sind. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, ist die methodische Absicherung durch den Analyseaspekt der 'Markierung' intertextueller Verweise im Text also ebenso geboten wie schwierig einzulösen.
Im Falle der Bibel als Prätext dagegen scheint der intertextualitätsanalytische Befund zunächst eindeutig und unstrittig zu sein: Fast durchgängig finden wir in den Romanen Fontanes biblische Zitate und Anspielungen. Das ist bruchstückhaft schon erforscht worden, gemessen an den übrigen Prätexten wie literarischen Klassikern jedoch in auffällig zurückhaltender Weise, was exemplarisch an der Monographie von Plett Die Kunst der Allusion deutlich wird, in der Bibelbezüge nur am Rande behandelt werden. Die wissenschaftsgeschichtlichen Gründe für diese auffällige Zurückhaltung gilt es noch zu reflektieren und dabei die Frage zu stellen, inwieweit das Forschungsfeld der Bibelallusionen von der germanistischen Literaturwissenschaft als der Theologie zugehörig erklärt und aus diesem Grund gemieden wurde.
Es lassen sich also zwei Desiderate in der Fontane-Forschung ausfindig machen: Methodisch fehlt bislang eine angemessene Operationalisierung von intertextualitätstheoretischen Konzepten für Fontanes Texte. Zum anderen steht eine systematische Herausarbeitung von Bibelbezügen aus seinem Werk noch aus.
Rezension zu Chiellino, Carmine/ Shchyhlevska, Natalia (Hgg.) (2014): Bewegte Sprache. Vom 'Gastarbeiterdeutsch' zum interkulturellen Schreiben. Dresden: Thelem, 288 S., ISBN 978-3-942411-60-8
Unter welchen Voraussetzungen entsteht interkulturelle Literatur in Deutschland? Dieser Frage widmet sich der vorliegende Band und untersucht, wie sich der kreative Umgang mit der deutschen Sprache durch drei Autorengenerationen entwickelt hat. Die Beiträge würdigen die Sprachleistungen der jeweiligen AutorInnen und weisen zugleich durch gezielte Analysen auf wiederkehrende Grundtendenzen im Umgang mit der deutschen Sprache hin. Dabei ist besonders von Interesse, wie sich die deutsche Sprache unter dem Einfluss der Literatur interkultureller AutorInnen entwickelt und verändert. Literatur-, Sprach- und Translationswissenschaftler aus mehreren Ländern analysieren wiederkehrende Erzählstrategien und literarische Phänomene in den Werken zahlreicher AutorInnen mit unterschiedlichen Herkunftssprachen und -kulturen.
"Diachrone Interkulturalität". Tagung der Universität Luxemburg, 17.-19. November 2016
Ziel der Tagung "Diachrone Interkulturalität" war einerseits eine stärkere Anbindung der interkulturellen Forschung an ästhetische und literaturwissenschaftliche Fragestellungen, andererseits auch die Erweiterung eines bislang vorwiegend gegenwartszentrierten Theoriediskurses um die diachrone Betrachtungsweise: "Im aktuellen Theoriediskurs wird jedoch inzwischen häufiger darauf hingewiesen, dass eine Beschränkung der Interkulturalitätsforschung auf Globalisierungsphänomene zu kurz gegriffen ist und die Notwendigkeit einer Historisierung besteht. In diesem Sinne intendiert die Tagung eine Erweiterung des Forschungsfeldes im Zeichen des Diachron-Geschichtlichen und damit auch eine Komplexitätssteigerung eines häufig undifferenziert gedachten Interkulturalitätsbegriffes."
"Globale - Festival für grenzüberschreitende Literatur" in Bremen, 25. Oktober - 15. November 2016
(2016)
"Globale - Festival für grenzüberschreitende Literatur" in Bremen, 25. Oktober - 15. November 2016
Das Festival für grenzüberschreitende Literatur verwandelte auch dieses Jahr die Stadt Bremen drei wochenlang in einen Begegnungs- und Diskussionsort für alle literarisch Interessierten mit einem vielfältigen Programmangebot an Lesungen von Autoren und Autorinnen, die die Grenzüberschreitung verbindet. Denn die Intention des Festivals ist, wie die diesjährige Festivalleitung Prof. Dr. Elisabeth Arend und Libuše Černá im Vorwort des umfangreichen Programmhefts betonen, eine Literatur vorzustellen, die sich mit "den Federn fremder Herkünfte" schmückt, "viele Zungen" spricht und "dabei deutsch" ist.
Ausgehend von der Verschränkung der aktuellen Diskurse von Spatial Turn und Emotional Turn wird in dem Beitrag der Frage nachgegangen, inwiefern der Begriff 'Heimat' als Raum des sozialen und symbolischen Handelns des Menschen bzw. dessen Emotionen in den Werken deutschsprachiger Gegenwartsautor(inn)en tschechischer Herkunft konstruiert wird. Während im Roman Die Fassade (Libuše Moníková) der Heimat eine symbolische Funktion eines externen Gedächtnisses zugesprochen wird, rückt in dem Roman Georgs Sorgen um die Vergangenheit… (Jan Faktor) die räumliche Komponente in den Vordergrund. Die Hauptfigur in Novemberfäden (Katja Fusek) konstruiert dagegen ihren Heimatbegriff aus der eigenen emotionsbeladenen Erinnerung heraus, wobei dessen Revision eine notwendige Voraussetzung für die eigene Identitätsbildung auf Grund der Konfrontation von 'Fiktion' und 'Realität' darstellt.
The premise of this paper is that there is a special trait which authors writing in German – but having a different mother tongue – have in common: compared to authors whose mother tongue is German, they show a more distinct sensitivity for the peculiarities of language, a more intense preoccupation with language phenomena, and a habit of critically questioning linguistic conventions, i.e. overall they display a greater awareness of language. Using the examples of Libuše Moníková, Jiří Gruša and Michael Stavarič, the paper shows how their German texts become alienated through elements from their mother tongue and how these authors make use of their bilingualism in their creative way of handling the foreign language.
Rezension zu Döblin, Alfred, Berlin Alexanderplatz. trad. Irene Aron. São Paulo: Martins, 2009.
Ziel dieses Beitrags ist, anhand der Interpretation der Schrift "Das Ich über der Natur" (1927) ein kleines Bild des Naturphilosophen Alfred Döblin zu skizzieren. Es geht um eine Facette des berühmten Autors des Romans "Berlin Alexanderplatz", die auch in Deutschland bis jetzt sehr wenig Aufmerksamkeit erfuhr und daher immer von seinen fiktionalen Werken überschattet blieb. Nach dem Ersten Weltkrieg begann die Phase von Döblins intensivem Philosophieren über die Natur. Bestimmte Fragen, wie etwa die Frage nach der Rolle des Menschen in der Natur und die Frage nach einem gerechten Handeln stehen im Zentrum seiner naturphilosophischen Abhandlungen der zwanziger Jahre. Die Schrift "Das Ich über der Natur", die 1927 im Fischer-Verlag veröffentlicht wurde, ist eben die erste ausgearbeitete Abhandlung der Döblinschen naturphilosophischen Spekulationen. Darin versucht Döblin einige Begriffe wie "Ur-Ich" und "Ur-Sinn" als höchste Naturinstanz zu erörtern.
If reductionism and a search for deterministic, predictive 'laws' of nature represented the dominant research strategy – and world view – of the scientific community during the 20th century, 'emergence' has become a major theme, if not the dominant approach in the 21st century, reflecting a major shift of focus toward the study of complexity and complex systems. However, this important 'climate change' in the scientific enterprise has been accompanied by much confusion and debate about what exactly emergence is. How do you know it when you see it? Or don't see it? What are its defining properties? Is it possible to predict emergence? And is there more to emergence than meets the eye? Beyond these meta-theoretical issues, there is a deep question that is often skirted, or even ignored. How do we explain emergence? Why does emergence emerge? Here, I will briefly recount the history of this important concept and will address some of the many questions that surround it. I will also consider the distinction between reductionist and holistic approaches to the subject, as well as the distinction between epistemological and ontological emergence (that is, the ability to deduce or predict emergence versus the concrete reality of an emergent phenomenon). I will argue that living systems are irreducibly emergent in both senses and that biological evolution has quintessentially been a creative emergent process that is fully consistent with modern (Darwinian) evolutionary theory. Furthermore, as I will explain, novel 'synergies' of various kinds have been responsible for the 'progressive' evolution of more complex living systems over time. e selective advantages associated with emergent, synergistic effects have played a major causal role in the evolutionary process.
Innerhalb des kulturellen Kontextes des vereinten Italien ist die unmittelbare Nähe von Wissenschaft und Unterhaltung von primärer Bedeutung. Einer der Gründe dafür war die "Theatralisierung der Wissenschaft" - ein Phänomen, das im neunzehnten Jahrhundert weit verbreitet war. In den 1860er und 70er Jahren gab es besonders in Mailand eine große Anzahl von Vorführungen, bei denen Phantaskope eingesetzt wurden und die sich außerordentlicher Beliebtheit erfreuten. Die überraschende Wirkung phantasmagorischer Aufführungen wurde durch Phänomene wie Magnetismus und Spiritismus verstärkt. Beide Kuriosa verbreiteten sich zu jener Zeit in Italien und stellten eine strikte Scheidung zwischen Wissenschaft und Unterhaltung in Frage. Im Folgenden werden die aufschlussreichsten Äußerungen dieser kulturellen Situation in einer Reihe populärer und politischer Zeitschriften der 1860er und 70er Jahre untersucht. Dabei ist von Interesse, dass mittels eben dieser Zeitschriften zum ersten Mal phantastische Literatur Eingang in die literarische Szene Italiens fand. Untersucht werden insbesondere Formen des Phantastischen, die durch die Interpretation von Phantasmagorien in einer Auswahl nicht-fiktionaler Texte noch verstärkt wurden. Es wird deutlich, dass in Italien zu dieser Zeit Phantasmagorien-Vorstellungen mit der politischen Rhetorik eng verwoben waren.
Novalis is perhaps the most expressive poet of German Early Romanticism. His ideas, mainly in form of fragments, were strongly based upon Fichte’s theory of magic idealism and are substantial part of his literary work, which presents a mixture of genres such as poetry, rhetoric, philosophical and religious themes and even social aspects. This article will introduce some of Novalis’ personal aspects with the intent of briefly introducing two of his main issues: the concept of Fragment, as exploited in ‘Die Lehrlinge zu Saï’s, and his ideal of a poetic, self referent language.
In einem Brief an Florens Christian Rang vom 9. Dezember 1923 schreibt Benjamin: "Mich beschäftigt […] der Gedanke, wie Kunstwerke sich zum geschichtlichen Leben verhalten. Dabei gilt mir als ausgemacht, daß es Kunstgeschichte nicht gibt". Dieser schroffen Feststellung folgen zwei Seiten, in denen Benjamin es sich zum Ziel setzt zu erläutern, was er mit diesem Satz meint, wobei er Fragen stellt und Hypothesen liefert. Benjamin hat hier also keinen dogmatischen Text verfasst, sondern es handelt sich um einen problembezogenen Brief, mit dem er sich an den Freund wendet, in der Hoffnung, dass er sich über dieses schwierige Thema äußern wird. Nach der Feststellung, dass er "ohnehin unter einer gewissen Einsamkeit [leidet,] in die Lebensverhältnisse und Gegenstand [seiner] Arbeit [ihn] gedrängt haben", schließt er nämlich: "Sollten Dir diese Überlegungen trotz ihrer Dürftigkeit die Möglichkeit einer Äußerung gewähren, so würde ich mich sehr freuen".
Eine Antwort Rangs ist nicht erhalten. Benjamins Text gibt uns (mit anderen seiner Schriften, in denen die Kunstgeschichte eine wesentliche Rolle spielt) allerdings einige Indizien, um zu verstehen, was ihn bewegte. Wenn Benjamin sagt, dass "es Kunstgeschichte nicht gibt", spricht er nicht vom Nichtbestehen dieses Fachs, sondern er artikuliert seine Unzufriedenheit bezüglich der Art und Weise, in der die Kunstgeschichte bis dato gewirkt hat, und stellt in diesem Sinne eine Forderung: die Forderung, dass die Kunstgeschichte in einer neuen Form beginnen, oder besser gesagt, wieder beginnen möge. Es geht um eine Wiedergeburt der Kunstgeschichte und ihrer Methoden. Wenn wir den Text weiterlesen, verstehen wir, dass nach Benjamin die traditionelle Kunstgeschichte keine nützliche Antwort auf die Frage liefert "wie Kunstwerke sich zum geschichtlichen Leben verhalten", weil sie mit der Histoire und nicht mit der Geschichte zu tun hat.
Eine der konstanten Fragen in Benjamins Werk ist die nach der Wirkung der geschichtlichen Bedingungen auf schriftliche und bildliche Texte.
Zwischen 1930 und 1931 schreibt und entwirft Benjamin einige seiner scharfsinnigsten und originellsten Texte. Wenn wir in einer Sentenz das Knäuel von Erfahrungen zusammenfassen möchten, das die Schriften dieser Jahre verbindet, so könnten wir an den Titel der Zeitschrift im Kreis um Brecht erinnern: 'Krise und Kritik'. In einer Schilderung seiner eigenen Verfassung dieses Jahres schreibt Benjamin an Scholem: "[T]rotzdem ich nicht die mindeste Vorstellung von dem habe, "was werden soll" - geht mirs gut. [...] [I]ch komme mir zum ersten Mal im meinem Leben erwachsen vor. Nicht nur: nicht jung mehr, sondern erwachsen indem ich eine der vielen in mir angelegten Daseinsformen nahezu realisiert habe. [...] Ich habe einen der - wahrscheinlich kurzen, vorübergehenden - Augenblicke erreicht, wo ich mich niemandem mehr abzufragen und die Bereitschaft habe, den verschiedensten Mobilisierungsbefehlen zu folgen. [...] Mein nächster Umgang ist seit ungefähr einem Jahr Gustav Glück, Direktor der Auslandsabteilung der Reichskreditgesellschaft, von dem Du eine Art Porträtabriß - cum grano salis zu verstehen - in dem "Destruktiven Charakter" findest, den ich Dir übersandte. Du erwähntest ihn nicht?" (GB IV, 61 f.). Der fragliche Text, das Fragment 'Der destruktive Charakter' aus dem Jahre 1931, das, wie es scheint, Benjamin sehr am Herzen lag, verdichtet in einem 'Denkbild' all jene Motive, die seine Textproduktion der Krisis charakterisieren. Dass es sich tatsächlich um ein Portrait eines Freundes von Karl Kraus handelt, kann nicht mit Gewissheit angenommen werden. In jedem Fall ist Gustav Glück, jenseits aller Biographismen, der Name den Benjamin jener Figur eines Revolutionärs geben wollte, die dann die Zeit des Übergangs, der Wende und der Krise verkörpert. 'Der destruktive Charakter' ist das hermeneutische Paradigma, das der Autor heraufbeschwört, um das Motiv des Grenzüberschritts aufzurufen. Er stellt das Bild fragiler und verlorener Umrisse vor, in der sich jene essenzielle Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft aufhält, die die Gegenwart ist - eine Figur, der Benjamin in einigen entscheidenden Passagen seines Werks auch den Namen 'Schwelle' verliehen hat. Auf den folgenden Seiten soll eine hermeneutische Auslegung vorgenommen werden, die den destruktiven Charakter als eine Figur der Schwelle begreift, d.h. als Figur einer dynamischen Koexistenz zwischen dialektischen Polen, die sich in einer produktiven Spannung befinden. Der destruktive Charakter steht am Kreuzweg, an einem Ort, der auf eine mögliche Veränderung hindeutet. Nach dieser Perspektive wird Benjamins Denken in eine philosophische Tradition gestellt, die von Aristoteles bis hin zu Derrida die Kategorien der Potenz, der Möglichkeit und der Virtualität privilegiert.