CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Eine ausführliche Übersicht der Literatur von und über Franz Blei hat Hartmut Walravens zusammengestellt (s. die Rubrik "Sekundärliteratur"). Der Fokus der vorliegenden Bibliografie liegt auf Übersetzungen (in Buchform und in Periodika bzw. Sammelwerken) sowie neuerer Sekundärliteratur zum übersetzerischen Werk Bleis. Die Rubrik "Übersetzungen in Buchform" verzeichnet auch einige posthum erschienene Übersetzungen. In den zahlreichen von Blei herausgegebenen Zeitschriften ("Insel", "Hyperion", "Freistatt", "Opale", "Der lose Vorhang", "Die Rettung", "Summa") erscheinen häufig Texte ausländischer Autorinnen und Autoren, ohne dass ein Übersetzer oder eine Übersetzerin genannt ist. Vermutlich übersetzte Blei also noch deutlich mehr als die in der Rubrik "Übersetzungen in Zeitschriften und Anthologien" genannten Texte. Die Rubrik "Originalwerke" verzeichnet Bleis selbständige sowie ausgewählte unselbständige Publikationen. Nicht aufgeführt sind die sehr zahlreichen Werke, die Blei für die zum Teil von ihm herausgegebenen Zeitschriften verfasste. Was seine ähnlich zahlreichen Vor- und Nachworte angeht, so sind nur diejenigen aufgeführt, die mit Übersetzungen in Verbindung stehen.
Franz Blei, 1871–1942
(2023)
Franz Blei war einer der umtriebigsten Homme de lettres der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Vielen bekannt als Autor des "Bestiarium literaricum" und als Entdecker von Robert Musil und Franz Kafka, war er auch ein höchst produktiver Übersetzer und außergewöhnlich kosmopolitischer Geist, der sich konsequent für die Verbreitung europäischer und amerikanischer Literatur in deutscher Übersetzung einsetzte.
Charlotte Birnbaum, geb. 1900 in Schirgiswalde (Lausitz), übersetzte seit 1942 etwa 50 Bücher aus dem Italienischen. In der Mehrzahl handelte es sich um Prosatexte renommierter Gegenwartsautoren. Verlegt wurden die Übersetzungen in Verlagen, die auf Höhenkammliteratur ausgerichtet waren: Claassen, Piper, Suhrkamp oder Volk & Welt.
Die Bibliographie verzeichnet die verschiedenen Ausgaben des von Berman ins Deutsche gebrachten Wittlin-Romans. Alle Angaben sind autoptisch geprüft. Die mehrmals fehlerhafte Schreibung des Übersetzernamens in den verlegerischen Peritexten legt die Vermutung nahe, dass sich die Recherchen der jeweiligen Verlage zum Verbleib des Übersetzers in Grenzen gehalten haben dürften.
Charlotte Beradt, 1901–1986
(2022)
Charlotte Beradt war Journalistin und Schriftstellerin. Bis zu ihrem Berufsverbot 1933 schrieb sie in Berlin über soziale Themen sowie die Lebensbedingungen von Frauen. Ende der fünfziger Jahre übersetzte sie im amerikanischen Exil in New York vor allem Werke von Hannah Arendt, mit der sie befreundet war. Nach dem Krieg verfasste sie zahlreiche Beiträge für den deutschen Rundfunk und deutsche Zeitungen. Bekannt ist sie heute vor allem als Autorin des Buches "Das dritte Reich des Traums".
Enrique Beck, 1904–1974
(2022)
Mehr als ein halbes Jahrhundert lang galt Enrique Beck als die deutsche Stimme des Dichters und Dramatikers Federico García Lorca (1898–1936). Bis auf den "Diwan des Tamarit" und die "Sonette der dunklen Liebe", die zu seinen Lebzeiten noch nicht im Original publiziert waren, übertrug er das Gesamtwerk des am 19. August 1936 von Falangisten ermordeten Spaniers und prägte nachhaltig das Bild, das sich die Deutschen von Lorca machten. War er als dessen leidenschaftlicher Entdecker und verdienstvoller Wegbereiter lange Zeit überwiegend gelobt und weithin gewürdigt worden, so wird ihm heute vorgeworfen, dem deutschsprachigen Lese- und Theaterpublikum den Zugang zum "wahren" Lorca aufgrund sprachlicher, kultureller und translatorischer Inkompetenz sowie stilistischer Eigenmächtigkeiten verstellt zu haben.
Die Bibliographie stützt sich auf Angaben in Rolf Harders Korpus-Biographie "Lilly Korpus, verheiratete Becher. Biographische Notizen" (Gransee: Edition Schwarzdruck 2017, S. 45–47) sowie auf die in zwei Bänden erschienene analytische Bibliographie "Internationale Literatur: Moskau 1931 - 1945", bearbeitet von Christa Streller und Volker Riedel (Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag 1985).
Lilly Becher, 1901–1978
(2023)
Lilly Korpus lernte in der Weimarer Republik das Zeitungsmachen. Sie wurde Chefredakteurin der "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung". 1933 musste sie ins Exil gehen, zunächst nach Paris, 1935 nach Moskau, wo sie an der Seite Johannes R. Bechers für die "Internationale Literatur" arbeitete. Sie veröffentlichte unter zahlreichen Pseudonymen Übersetzungen literarischer Texte aus dem Englischen, Französischen und Russischen. 1945 kehrte sie nach Berlin zurück und wurde erneut Chefredakteurin einer Illustrierten. Ihr übersetzerisches Tun beschränkte sich auf die Jahre in Moskau, sie war eine reine Exil-Übersetzerin.
Erich Arendt : Bibliographie
(2014)
Die Bibliographie verzeichnet die in Einzelausgaben (einschl. Nachauflagen, Neuausgaben und Lizenzausgaben) sowie die in Anthologien und Zeitschriften veröffentlichten Übersetzungen, in Einzelfällen zusätzlich die jeweils verwendeten Originalausgaben. Literarische Werke von Erich Arendt sind nicht berücksichtigt, nur Publikationen mit Bezug zu seinen Übersetzungen, meist Vor- und Nachworte. An Sekundärliteratur ist erfasst, was explizit Bezug auf Erich Arendt als Übersetzer nimmt bzw. für sein übersetzerisches Handeln oder anderweitig für den Blick auf den Übersetzer relevant ist.
Erich Arendt, 1903–1984
(2015)
Erich Arendt zählt zu den bedeutendsten Übersetzern spanischsprachiger Lyrik ins Deutsche. Seine Übersetzungen von Pablo Neruda und anderen ebneten den Weg für die Rezeption der lateinamerikanischen Dichtung zunächst in der DDR, später dann in der BRD. Auch zentrale Persönlichkeiten der spanischen Dichtung des 20. Jahrhunderts wie Vicente Aleixandre, Rafael Alberti und Miguel Hernández wurden von Arendt ins Deutsche übertragen. Erich Arendt steht exemplarisch für die Figur des "Dichter-Übersetzers".
Barbara Antkowiak, 1933–2004
(2023)
Im Frühherbst 2004 verstarb Barbara Antkowiak, eine der verdienstvollsten Übersetzerinnen aus den südslawischen Sprachen, unerwartet an einer Lungenembolie. Damit hat der deutschsprachige Kulturkontext eine Vermittlerin verloren, für die die Präsentation von Werken und Autoren aus den slawischen Sprachen Südosteuropas Herzenssache war.
Die Titel der folgenden Bibliographie wurden überwiegend autoptisch erfasst. Primärquelle war die Belegbibliothek, die die Übersetzerin als Teil-Nachlass der Stadtbibliothek ihrer Heimatstadt Cottbus übereignet hat. Hilfreich waren ferner: Katalog der Deutschen Nationalbibliothek (DNB), "Literatur in der SBZ/DDR. Bibliografische Annalen 1945-1990" sowie mehrere persönliche Bibliografien der Übersetzerin: 1) "Verzeichnis meiner wesentlichen Arbeiten" (Перечень моих основных работ), Ts. 2 S., russ. mit hs. Korrekturen und Ergänzungen zum 07.04.1951, im Bremer Nachlass, Forschungsstelle Osteuropa (BHA1951); 2) "Bücherliste", o. D., Ts. 3 S., dt. mit hs. Ergänzungen, ca. 1960er, ebd. (BHAoD); 3) "Buchausgaben", Ts. 4 S., dt., im Cottbuser Nachlass (BHA1988); 4) "Übersetzungen, erschienen in 'Internationale Literatur' und 'Sowjetliteratur'", Ts. 5 S., dt., um 1988, ebd. (BHASL1988). In der Kategorie "Sonstige Übersetzungen" werden veröffentlichte Titel genannt, bei denen eine Zuschreibung der Verfasserschaft von Hilde Angarowa bestritten wird (Fadejew), ferner solche, bei denen sie hergestellt bzw. nahegelegt wird (Wasilewska) sowie schließlich "Zwischenfälle" (Furmanow). Darüber hinaus werden Übersetzungen gelistet, die in den Archivdokumenten erwähnt werden, aber weder als Typoskript, noch als veröffentlichter Text vorliegen.
Alfred Andersch, 1914–1980
(2019)
Ludwig von Alvensleben war einer der produktivsten Übersetzer des 19. Jahrhunderts. Er gilt daher heute manchen als Prototyp des nur auf Quantität bedachten "Fabrikübersetzers". Dass die Zeitgenossen seine Übersetzungstätigkeit nicht ganz so negativ einschätzten, lässt sich an seinerzeit veröffentlichten Rezensionen erkennen. Der Blick in die Bibliographie macht allerdings auch deutlich, dass sich seine Übersetzungen im Literaturbetrieb bzw. am Buchmarkt nicht lange halten konnten.
Regine Adler, 1870–1943
(2023)
Regine Adler teilte das Schicksal vieler Frauen aus dem Umfeld der Prager Deutschen Literatur: Sie stand im Schatten ihres literarisch erfolgreichen Gatten Friedrich Adler, obwohl sie eigene Werke veröffentlichte und auch als Übersetzerin hervortrat. Außer grundlegenden biografischen Daten ist über ihr Leben bisher nur wenig bekannt.
Georg Adam, 1874–1948
(2021)
Dieses Porträt über Georg Adam gibt einen Vortrag wieder, den Norbert Randow (1929–2013) am 18. November 1960 anlässlich der 150-Jahr-Feier der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten hat. Gedruckt erschien der Beitrag 1962 in der "Wissenschaftlichen Zeitschrift" der Humboldt-Universität unter dem Titel "Der Slawenfreund Georg Adam und sein Verhältnis zur bulgarischen Literatur". Die am Schluss des Vortrags angekündigte größere Studie zu Leben und Werk Georg Adams kam nicht zustande, da Randow 1962 wegen "Beihilfe zur Republikflucht" zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und anschließend seine slawistisch-bulgaristischen Forschungsvorhaben nicht wieder aufnehmen konnte. Stattdessen wurde er - seinem großen Vorbild Georg Adam folgend - herausragender Übersetzer aus slawischen Sprachen, insbesondere aus dem Bulgarischen und Weißrussischen. Der von Norbert Randow in den 50er Jahren übernommene Nachlass Georg Adams ist in großen Teilen Bestandteil des an die Humboldt-Universität gelangten Randow-Nachlasses, ein kleinerer Teil Korrespondenz ist an das Bulgarische Literaturarchiv in Sofia gegangen.
Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg (KBW) wird seit vielen Jahren intensiv erforscht, das Werk Aby Warburgs in einer Studienausgabe herausgegeben. Das Interesse an seiner Bedeutung für die Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts reißt nicht ab. Umso erstaunlicher ist es, dass bislang Studien zu den an der KBW gehaltenen Vorträgen fehlten. Die von Fritz Saxl 1921 initiierten Abendvorträge spiegeln das intellektuelle Netzwerk der KBW und ihren wissenschaftlichen Anspruch wider und wurden bis 1931 in einer eigenen Reihe publiziert. Eingeladen waren wichtige Vertreter ihrer Fächer, die dennoch heute außerhalb ihrer jeweiligen Disziplinen oft in Vergessenheit geraten sind. In diesem Band werden die Vortragenden daher vorgestellt, bevor die Aufsätze sich auf das an der KBW referierte Thema konzentrieren. Gemeinsamer Bezugspunkt ist der erste in der Reihe der Vorträge, mit dem Saxl der Zuhörerschaft Warburgs Forschungsanliegen und -ansätze vorgestellt hatte. Wie nah ist der jeweilige Vortrag diesem Programm, wo setzt er sich davon ab, und welche der gedruckten Vorträge können als eine Erweiterung und Fortführung des Warburg'schen Ansatzes angesehen werden?
Ein selbstverwaltetes Kulturzentrum in Neapel wird von der Stadtgesellschaft zum Gemeingut erklärt. In einem leerstehenden Einkaufszentrum am Rande von Kopenhagen erforscht das Publikum eines kleinen Festivals die Bedingungen öffentlichen Lebens. Gegen die machtvolle Allianz von Kirche und Staat übt das Ensemble eines Warschauer Theaters Herrschaftskritik am eigenen Betrieb … Die sechs Theaterorte, die in "farsi comune" besucht und mit Texten der politischen und ästhetischen Theorie in einen Austausch gebracht werden, sind Schauplätze informeller Gemeinschaftsbildung und Werkstätten kritischer Zeitgenossenschaft. Zusammen betrachtet werfen sie Fragen auf, die von Europa aus die Gegenwart zu denken geben: Wie kann auf einem beschädigten Planeten gemeinsames Leben stattfinden? Wie lässt sich Pluralität in postnationalen Gesellschaften organisieren? Welche Gestaltungsmöglichkeiten bleiben in einer von Technik und Kapital strukturierten Welt? Dabei zeigt sich Theater als singulär-pluraler Ort, der eine widerständige Zeit des Kommunen entfaltet.
Dieselbe Zeit, derselbe Raum - zwei grundverschiedene Regisseure und damit Erfahrungswelten. Sergei Loznitsas und Aleksandr Rastorguevs Dokumentarfilme der 2000er Jahre sind politische, poetische, punktgenaue Interventionen in die Gegenwart der 'kleinen Menschen' und damit in unsere Gegenwart. Das Buch widmet sich diesen dokumentarfilmischen Meisterwerken, die methodisch Verdrängtes und Übersehenes, planmäßig Vergessenes behutsam sichtbar machen und dabei immer wieder den Krieg in den Blick nehmen. Dokumentarische Filmästhetik erscheint hier in ihrer sozial-, geschichts- und kulturwissenschaftlichen Relevanz. Im post- und kontrafaktischen Zeitalter des allgegenwärtigen medialen Überflusses, inmitten der Fernseh-, YouTube- und virtuellen Realität, erfüllen, begründen, ermöglichen oder schlichtweg erkämpfen die Filme und ihre Autoren verlorengegangene Räume für Widersprüche und Fragen, die mal in ihrer Ambivalenz, mal in ihrer spröden Eindeutigkeit ihren Aussagewert haben. Wider die marginale Rezeption rückt die Publikation die Regisseure in den Raum der interdisziplinären wissenschaftlichen Forschung und stellt die Filmarbeiten als gleichwertige Formen der Wissens- und Erfahrungsproduktion vor. Bei all ihrer Unterschiedlichkeit katapultieren die Filme die Zuschauenden in ebenjene bekannte, aber nicht erkannte, weil nicht gesehene, übersehene, nicht wahrgenommene Hyperrealität ihrer Alltagswirklichkeit. Weder der Autor noch das Werk noch die Zuschauenden sind aus dem jeweiligen historischen oder soziopolitischen Diktum herauslösbar oder gar gänzlich frei.
Obwohl der Autor und Künstler Andreas Neumeister mit zu den bekanntesten deutschen Popliterat*innen zählt, setzt sich dieser Band erstmals umfassend wissenschaftlich mit seinen collagenartigen Texten auseinander. Unter dem 'Deckmantel' des Romans verschmelzen bei Neumeister zahlreiche mediale Versatzstücke zu einem dichten Abbild gesellschaftlicher Gegenwart und stellen die politische Dimension alltäglicher und/oder urbaner Kulissen aus. Seine Texte arbeiten dabei mit popästhetischen Methoden - wie Montagen, Wiederholungen oder Listen -, die die vorliegende Studie definiert und als Analyseschema fruchtbar macht. Dabei nimmt die Autorin auch die Überforderung der Leser*innen durch die dichte, 'anarchische' Romanform Neumeisters in den Blick und entwickelt ein Rezeptionskonzept, das der unkonventionellen Textform adäquat begegnet. Inwiefern sich Städte und Architekturen mittels dieser popästhetischen Poetik darstellen lassen, wird exemplarisch an Neumeisters Text "Könnte Köln sein" (2008) untersucht: Die profunde, aber fragmentarisch inszenierte Auseinandersetzung des Erzählers mit den Bauwerken, die er während seiner Reisen in Städte wie München, Berlin, Moskau, New York und Los Angeles besucht, verschränkt literarische wie architektonische Expertise eng miteinander. Anarchitext zeigt, wie bei Neumeister auf literarischer Ebene Raum geschaffen wird, ohne diesen zu bauen - und folgt dabei dem Begriff der "Anarchitektur" von Gordon Matta-Clark, der eine Verbindung von Anarchie und Architektur bezeichnet.
Was einen "Edlen Verbrecher" ausmache, aus welchen habituellen oder biografischen Attributen er sich charakteristischerweise zusammensetze und welche Funktionen ihm als Sozialtyp, Männlichkeitskonzept und Heros der Literatur und des Dramas, des Marionettentheaters und des Volkslieds zukommen können, fesselte die Kulturgeschichtsschreibung bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. [...] An Typologien des Edlen Verbrechers als eines politik-, sozial- und psychohistorisch ausdeutbaren Fluchtpunkts kollektiver Phantasien mangelt es nicht. Sieht man genauer hin: nicht auf den ewiggleichen Typ, sondern auf dessen Modifizierung, Perspektivierung und Modellierung, kurzum: auf dessen Diskursivierung, bietet der edle Delinquent nichts weniger als eine einheitliche Moral oder Psychologie, sei sie nun idealisierend, kriminalisierend oder, wie im populären Marionettentheater üblich, komisierend. So spricht vieles dafür, dass die literarischen Gattungen und nicht-literarischen Textsorten - also all die Protokolle und "Aktenmäßigen Geschichten", Anekdoten und Lieder, Novellen und Romane, Laientheater- und Marionettentheaterstücke - die Typenbildung ganz unterschiedlich prägten beziehungsweise voneinander abweichende Typen mit differenten Biographien hervorbrachten. Womöglich bewohnt der historisch-anekdotische, der epische, lyrische und theatrale Schinderhannes im 19. Jahrhundert gar nicht jenes eine Haus des Edlen Verbrechers, das ihm die Geistes- und Kulturwissenschaften gebaut und zugewiesen haben? Und womöglich ist er weder als Figur noch überhaupt als Typus, sondern bloß als Name anzusehen, dem wechselnde Diskurse kriminalistischer, pädagogischer, moralischer, künstlerischer Ausrichtung wechselnde Bedeutungen, Funktionen und Plätze im kollektiven Gedächtnis wechselnder Gruppen gaben? [...] In der Folge soll die im 19. Jahrhundert von Anekdotik, Lied und (Marionetten-)Theater konstruierte fiktive Kollektivbiographie des Schinderhannes Johannes Bückler textsortenspezifisch re-vidiert und in eine Soziobiographie aus Dichtung und Wahrheit übergeführt werden.
Der vorliegende Band versammelt intersektionale literaturwissenschaftliche und -didaktische Fallstudien aus unterschiedlichen Philologien und bietet so ein Prisma der Erforschung literarischer Repräsentationen des Zusammenspiels von einander verschärfenden bzw. abschwächenden Diskriminierungskategorien. Die Einzelbeiträge präsentieren kritische Reflexionen und Modifizierungen verschiedener Positionen der intersektionalen Forschung sowie Beispiele für die vielfältige Ausgestaltung intersektional orientierter Textanalyse auf theoretischer und methodischer Ebene. Da wissenschaftliche und literarische ebenso wie zeitgenössische und historische Texte in verschiedenen Sprachen (Englisch, Deutsch, Italienisch, Niederländisch, Spanisch etc.) aufgegriffen werden, zeigt der Band auf, dass Machtstrukturen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten Analogien aufweisen, deren Analyse von Differenzierungen verschiedener Herrschaftsstrukturen profitiert.
Das politische Interesse am menschlichen Leben durchdringt nicht nur Wissenschaften, Ökonomie und Ethik, sondern auch die Künste. Die fiktionalen Welten von Literatur, Film und Serie fungieren als Aushandlungs- und Reflexionsräume von Biopolitik(en): Menschliche Figuren werden innerhalb biopolitischer Strukturen modelliert, um den Menschen als Individuum sowie als Teil einer Gemeinschaft zu reflektieren; menschliche Lebensweisen werden in vielzähligen Varianten durchgespielt und in ihrer Bedeutung ausgelotet, um ein spezifisches Wissen über den Menschen zu generieren, das kritisch zum biopolitischen Diskurs beiträgt. Es ist ebenjener kritische Diskursbeitrag von Literatur, Film und Serie, der uns im vorliegenden Band interessiert. Dieser Sammelband, der auf einen von Studierenden des Fachbereichs Komparatistik / Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Paderborn organisierten wissenschaftlichen Workshop im September 2021 zurückgeht, wagt, sich diesen Aushandlungen und Reflexionen von Biopolitik(en) in Literatur, Film und Serie zu stellen und sie produktiv zu diskutieren.
Self Study is a genre-bending work of autophilosophy. It opens a rare, rear window into the schizoid position of self-sufficient withdrawal and impassive indifference. This inability to be enriched by outer experiences feeds the relentless suspicion that hell is other people. Laying bare his life and work, Kishik engages with psychoanalysis, philosophy, and cultural inquiry to trace loneliness across the history of thought, leading to today's shut-in society and the autonomous subject of liberal capitalism.
Teil I Bestandsaufnahme und strategische Entwicklung
Teil II IT-Umsetzung der FID-Strategie
beteiligte FID:
FID Afrikastudien | africanstudieslibrary.org
FID Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft | avldigital.de
FID Biodiversität | biofid.de
FID Darstellende Kunst | performing-arts.eu
FID Germanistik | germanistik-im-netz.de
FID Jüdische Studien | jewishstudies.de
FID Linguistik | linguistik.de
Anarchival practises : the Clanwilliam Arts Project as re-imagining custodianship of the past
(2023)
Where is the past? It is not really behind us, but with us, constantly imagined and re-imagined in public discourse through historical narrations. Using the Clanwilliam Arts Project as a case study, this volume is founded on the 'anarchive', a conceptual constellation that positions the past in relation to the present, bringing into view strategies to facilitate remembering beyond the colonial archive.
In light of the dramatic growth and rapid institutionalization of human-animal studies in recent years, it is somewhat surprising that only a small number of publications have proposed practical and theoretical approaches to teaching in this inter- and transdisciplinary field. Featuring eleven original pedagogical interventions from the social sciences and the humanities as well as an epilogue from ecofeminist critic Greta Gaard, the present volume addresses this gap and responds to the demand by both educators and students for pedagogies appropriate for dealing with environmental crises. The theoretical and practical contributions collected here describe new ways of teaching human-animal studies in different educational settings and institutional contexts, suggesting how learners - equipped with key concepts such as agency or relationality - can develop empathy and ethical regard for the more-than-human world and especially nonhuman animals. As the contributors to this volume show, these cognitive and affective goals can be achieved in many curricula in secondary and tertiary education. By providing learners with the tools to challenge human exceptionalism in its various guises and related patterns of domination and exploitation in and outside the classroom, these interventions also contribute to a much-needed transformation not only of today's educational systems but of society as a whole. This volume is an invitation to beginners and experienced instructors alike, an invitation to (re)consider how we teach human-animal studies and how we could and should prepare learners for an uncertain future in, ideally, a more egalitarian and just multispecies world.
Genauigkeit gilt in vielen kulturellen Bereichen - von der wissenschaftlichen Forschung bis zur Pünktlichkeit eines Zuges - als erstrebenswertes Ideal. Nicht selten werden hierbei präzise technische Apparaturen ebenso wie organisatorische Kompetenzen und perfektionierte menschliche Fähigkeiten als Hinweise dafür genannt, es handle sich um genaue Verfahren. Doch was macht diese genauer als andere Prozedere, etwa die präzise sprachliche Übertragung einer Übersetzerin? Woran sind solche Vorstellungen, Ideale und Verfahren von Genauigkeit gekoppelt - und welche Rolle übernimmt hier eigentlich die Imagination? Entgegen der verbreiteten Annahme einer Gegensätzlichkeit von Imagination und Genauigkeit verhandelt der Sammelband gerade deren Verschränkungen in Wissenschaften und Künsten. Robert Musil hat dieses Verhältnis auf die Frage zugespitzt, was denn eine genaue Abhandlung über die Ameisensäure am Jüngsten Tag überhaupt nützen würde - dass gleichzeitig aber auch jeder Vorstellung des Jüngsten Tags zu misstrauen sei, die nicht einmal die Ameisensäure genau erforscht habe. Diese zwei Seiten des Bestrebens, die Welt zu verstehen, finden sich wieder in Musils Idee einer "phantastischen Genauigkeit". Doch wie verbindet sich der Fokus auf Fakten und Gewissheiten, auf die Etablierung von Gesetzen und Regeln, die überprüfbar und genau sind, mit jenem imaginären und "phantastischen" Teil, der allererst neue Möglichkeitsräume denken lässt? Solchen Transfer- und Konfliktmomenten von Genauigkeit und Imagination widmen sich die Beiträge des interdisziplinären Sammelbands. Von den Aufzeichnungsprozessen von Pulskurven über kartografische und statistische Übertragungsleistungen bis zu künstlerischen Praktiken aus Literatur, Malerei und Video Art wird eine Reihe unterschiedlicher Episoden vorgeschlagen, in welchen die Auslotung dieses Verhältnisses einen Anfang findet.
Die Metapher vom Eisernen Vorhang beherrscht unsere Wahrnehmung des Kalten Kriegs bis heute. Doch welchen Einfluss hatte die Trennung zwischen Ost und West auf die sozial- und kulturhistorische Selbsterforschung Europas in der zeitgenössischen Geschichts- und Literaturwissenschaft? Barbara Picht macht das Ost-West-Paradigma selbst zum Untersuchungsgegenstand der Wissenschaftsgeschichte, anstatt es zu übernehmen. Sie analysiert signifikante kulturelle Selbstentwürfe im Europa des Kalten Krieges mit einem Schwerpunkt auf Geschichte und Literatur. Am Beispiel des Werkes von Fernand Braudel und Robert Minder (Frankreich), Werner Conze und Ernst Robert Curtius (BRD), Walter Markov und Werner Krauss (DDR) und Oskar Halecki und Czesław Miłosz (Polen bzw. US-amerikanisches Exil) zeigt sie, dass die "Interpreten Europas" der bipolaren Logik der Systemkonfrontation nicht gehorchten. Die "institutionelle Macht" des Kalten Krieges war sehr wohl zu spüren, doch vom beherrschenden Bild des 'iron curtain' muss man sich lösen, geht es um die Geschichte der europäischen Geistes- und Kulturwissenschaften im Systemkonflikt.
Die Beiträge dieser Interjekte-Ausgabe zeichnet eine programmatische Dimension aus, die zur Revision einer Reihe von bisherigen Annahmen in der Forschung zu Stil und Rhetorik auch durch überraschende historische Schnitte anregt: von Luther und Bernard Lamy über Baumgarten und Schleiermacher bis zu Musikvideos und Theatertexten der Gegenwart.
Formen des Ganzen
(2022)
Die politischen Krisen der Gegenwart (Klimawandel, Migration, Pandemie) verlangen nach globalen und ganzheitlichen Lösungen, während Ganzheit aufgrund der Totalitarismuserfahrungen des 20. Jahrhunderts zugleich eine in Verruf geratene Kategorie ist. Dieser Spannung haben sich die Geisteswissenschaften seit einigen Jahren verstärkt zu stellen versucht. Galt das Ganze v. a. der Idealismuskritik lange als suspekt, geht die Verabschiedung überkommener Totalitätsmodelle derzeit oft mit der Erprobung neuer Vorstellungen von Ganzheit einher. Ausgehend von diesem Befund fragt der Band nach der inneren Organisation, den Ausdrucksweisen und den Formen, die das Ganze konzeptionell überhaupt erst generieren. Neben begriffsgeschichtlichen Überblicken etwa zu 'System', 'Organismus', 'Aggregat' oder 'Gestalt' werden dabei die historischen Konjunkturen einer genuinen Vielfalt des Ganzen in der philosophischen, ökologischen, literarischen und poetologischen Tradition untersucht.
Im ersten Teil, "Grundbegriffe", werden einige der wichtigsten und gewissermaßen klassischen Grundbegriffe des Ganzen in der Moderne und einige seiner neueren Modellierungen überblicksartig skizziert. Dabei ist der Anspruch nicht, das verfügbare begriffs- und ideengeschichtliche Wissen zu ergänzen oder zu reproduzieren. Vielmehr geht es darum, den Begriff möglichst auf die Frage nach seiner Bedeutung heute hin zuzuspitzen oder von da aus zu perspektivieren. Teil II und III widmen sich in längeren Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven zunächst den Teilen und der Ganzheit und anschließend Prozesslogiken des Ganzen. Die Beiträge des vierten Teils gelten dann hypothetischen Ganzen im erläuterten Sinne. [...] Vom ersten Teil mit den "Grundbegriffen" abgesehen, wurden Perspektive, Gegenstände und Zugangsweisen den Autorinnen und Autoren anheimgestellt. Die einzige Vorgabe war, sich auf die Frage nach dem Ganzen und seinen Formen einzulassen. Entsprechend unterschiedlich sind die Antworten. Als Tendenz zeichnet sich jedoch ab, dass Formen des Ganzen die heutigen Geistes- und Kulturwissenschaften wieder mehr und vielfältiger beschäftigen, es sich beim Ganzen also doch noch oder wieder (und keineswegs nur in der Philosophie) um eine Orientierungsgröße handelt. Und es wird auch deutlich, dass dabei tradierte Gegensätze erodieren oder sich verschleifen, während andere in den Vordergrund rücken.
Lange Zeit galten Reiseberichte als Wegbegleiter des Kolonialismus. Dies ändert sich im Lateinamerika der 1920er Jahre, wovon die in Vergessenheit geratenen Feuilletonartikel, Tagebücher und Aufzeichnungen der chilenischen Nobelpreisträgerin Gabriela Mistral, des "Papstes des brasilianischen Modernismus" Mário de Andrade und des belgisch-französischen Avantgardisten Henri Michaux zeugen. Marília Jöhnk geht dem wissensgeschichtlichen Interesse der drei Reisenden am Kontinent und ihrem Spiel mit etablierten Formen literarischer Wahrnehmung nach. Mit dem tief in der aztekischen Mythologie verankerten Kolibri eint deren kleine Reiseprosa nicht nur die kompakte Größe, sondern auch die Mobilität und Geschwindigkeit.
"Gracián ist nicht nur ein großer Autor, sondern gerade heute [1928] einer der interessantesten.«"Dieses Bekenntnis Walter Benjamins zur Aktualität des spanischen Autors gilt es ernst zu nehmen. Ziel dieses Buches ist es, Benjamins Gracián-Lektüre im Kontext der deutschen Auseinandersetzung mit dem Barock in der Moderne zu verorten und dabei die zentrale politische und theoretische Bedeutung von Graciáns Klugheitslehre in Benjamins Schriften aufzuzeigen. Gracián ist nicht nur eine der Quellen der anthropologischen Ausrichtung von Benjamins Aphorismen, sondern dessen Schriften stellen auch ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Trauerspielbuch und Benjamins Produktion der dreißiger Jahre dar. Die Auseinandersetzung mit Gracián führt Benjamin zu einem neuen Konzept einer wirksamen Schreib-Praxis sowie einer politisch wirksamen Schrift.
Dieses Buch untersucht Konzeptionen der Mimesis und des Mimetischen in der Kontaktzone zwischen Ethnologie und (post-)surrealistischer Avantgarde im Paris der 1930er Jahre: bei Georges Bataille, Roger Caillois, Michel Leiris und im außerakademischen Forschungskollektiv Collège de Sociologie. In den Texten und Projekten der drei Autoren kreuzen sich ästhetische und ethnologische Diskurse - mit dem Ergebnis einer umfassenden 'Entgrenzung' der Mimesis und des Mimetischen. Die künstlerischen, wissenschaftlichen und politischen Praktiken, die im Zentrum von Batailles, Caillois' und Leiris' Überlegungen standen, sind nicht auf die optische imitatio oder die bloß poietische Neuschaffung der Welt beschränkt. Sie sollten vielmehr umfassende Transformationsprozesse initiieren, die nicht zuletzt das mimetisch agierende Subjekt selbst erfassen. Eine Studie über die Einschreibung des sogenannten 'Primitiven' in die künstlerischen und literarischen Diskurse zu Beginn des 20. Jahrhunderts, über die Faszination der Avantgarde für 'primitive Denkweisen' und den Wunsch, sich diese Denkweisen auf mimetische Art und Weise anzueignen - und über die umfassenden ästhetiktheoretischen Revisionen, die daraus folgten.
Im 19. und 20. Jahrhundert war Georgien mit Ausnahme der Jahre der kurzlebigen Georgischen Demokratischen Republik (1918–1921) Bestandteil des russischen und später des sowjetischen Imperiums. Als Gegenstand von Hegemonialkämpfen zwischen Nationen und Imperien wurde der politische Raum des georgischen Feudalkönigreiches und der geographische Raum zwischen dem Kaukasus und dem Schwarzen Meer seit der Antike immer wieder symbolisch und affektiv aufgeladen, gedeutet und umgedeutet. Diese Kollektivmonographie rekonstruiert die Wechselwirkung geopoetischer und geopolitischer Verschiebungen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, die Erfindung des Kaukasus als eines einheitlichen geokulturellen Raumes, die kulturelle Semantisierung des Schwarzen Meeres und der Kolchis erstmalig als einen Dialog zwischen georgischen, abchasischen und russischen Perspektiven.
Welche Bedeutung haben psychogene Sehstörungen, rotierende Scheiben, blinde Kinder, spiritistische Erscheinungen, Wahrnehmungsexperimente und erblindete Fotografen für die Entwicklung der Disziplinen Physiologie und Ophthalmologie oder auch für ästhetische und literarische Diskurse? Wie haben sie unser Verständnis vom Sehen geprägt, das längst nicht mehr als rein physiologische Fähigkeit, sondern vielmehr als sozial, historisch und kulturell präfigurierte Aktivität gilt? Die Beiträge des interdisziplinären Bandes zeigen, dass sich das Wissen vom Sehen und vom Auge maßgeblich über die Grenzen des Sehens konstituiert. Ob in physiologischen, philosophischen oder psychoanalytischen Diskursen; ob in der Literatur, der bildenden Kunst oder im Film - stets sind es der Ausfall des Visuellen, die Trübung des Blicks oder die Einschränkung des Sichtfeldes, die Auskunft darüber geben sollen, wie das 'richtige' Sehen funktioniert.
Federn lesen : eine Literaturgeschichte des Gänsekiels von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert
(2021)
Vom Mittelalter bis zur Einführung der Stahlfeder im 19. Jahrhundert war die Gänsefeder das meistgebrauchte Schreibwerkzeug in Europa. Doch um als Schreibfeder genutzt werden zu können, musste der Gänsekiel mit großem Können zugespitzt und bearbeitet werden. Das Wissen um die Techniken der Fertigung und des Gebrauchs sind größtenteils verschollen.
Martina Wernli hat intensiv geforscht und versammelt nun Quellen aus unterschiedlichen Sprachen. Sie zeigt, wie die Gänsefeder die europäische Schriftkultur über Jahrhunderte geprägt hat und wie dem Schreibwerkzeug von Anfang an zudem eine übertragene Bedeutung zukam, denn die Feder steht auch für Schreibprozesse und literarisches Schreiben selbst. Die komparatistisch ausgerichtete Analyse verdeutlicht, wie sich in der Feder bildliches Sprechen und materielle Grundlage gegenseitig bedingen. Eine spannende Ding-, Medien-, Technik-, Kultur- und Literaturgeschichte.
Seuchenjahr
(2021)
"Theorie" spricht gerne im Präsens. Allein, es handelt sich um ein unechtes Präsens, das über der Zeit zu stehen beansprucht. Die Ausnahmesituation der Pandemie lädt dazu ein, dieses Präsens zu überdenken und die unvermeidlichen Bindungen der Theorie an gegenwärtiges Geschehen sichtbar zu machen. Durch die klaustrophobische Situation des Lockdown ist eine unheimliche Korrelation von Theorie und Phobie kenntlich geworden. Beide suchen nachträgliche Bestätigung durch die Wirklichkeit. Durch diese Parallele wird auch der Lockdown, in dem das kulturtheoretische Denken ohnehin feststeckte, für sich selbst sichtbar wie in einem Spiegel. Unter dem Stichwort einer "Geschehensethik" erstellen Henning Trüpers Betrachtungen eine Inventur der Probleme und Lektionen, denen sich insbesondere die Theorie der Moral und verwandter Gebiete in der Schule der Pandemie ausgesetzt sehen.
Während alle vom Klima sprechen, scheint mit dem Anbruch des Anthropozäns die Zeit der Natur passé. Doch ohne den Begriff der Natur wäre ein Großteil der modernen Philosophie nicht zu denken. Hanna Hamel vermittelt in ihrer Studie zwischen historischen Positionen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts und ökologischen Theorien der Gegenwart. Ihre Lektüre ausgewählter Texte von Kant, Herder und Goethe entwickelt Grundzüge eines historisch-theoretischen Selbstverständnisses, das über die bloße Abgrenzung von "modernen" Naturkonzepten hinausführt. In der Konfrontation mit aktuellen Reflexionen von Bruno Latour, Timothy Morton und David Lynch wird ein Anliegen erkennbar, das alle Positionen verbindet. Mit Goethe lässt es sich als Darstellung und Theoretisierung "übergänglicher" Natur bezeichnen. Die historischen Texte werden zu einer kritischen Ressource für die Gegenwart.
Die hier versammelten Beiträge gehen wesentlich auf die internationale Tagung 'Geschichts(er)findungen. Felicitas Hoppe als Erzählerin zwischen Tradition und Transmoderne' zurück, die im Rahmen des Writer-in-Residence-Programms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) mit der Büchnerpreisträgerin Felicitas Hoppe vom 30. November bis 1. Dezember 2012 an der University of Oxford stattfand.
Um 1800 verstärkt sich das Problembewusstsein für eine der wissenschaftlichen Reflexion adäquate Darstellung, da sich die Überzeugung durchsetzt, die Sprache sei nicht nur ein Werkzeug, sondern vielmehr ein "bildendes Organ des Gedankens" (Wilhelm v. Humboldt). Das enge Verhältnis von Aussage und Ausdruck rückt die Wissenschaft in der deutschen Tradition geradezu zwangsläufig in die Nähe zur Literatur. Dabei zeigt sich das wissenschaftliche Selbstverständnis dieser Jahre in der Frage v.a. seiner Adressierung von einer interessanten Paradoxie geprägt. So soll der jeweilige Sprachgebrauch überhaupt erst den szientistischen Anspruch wissenschaftlicher Projekte beglaubigen und diese gleichsam als Spezialdiskurse legitimieren, zugleich muss der ideale Adressat der Wissenschaft solche Spezialdiskurse aber immer auch überschreiten. J. G. Fichte etwa weist den Vorwurf der "Unverständlichkeit" seiner "Wissenschaftslehre" als implizites Verlangen nach "Seichtigkeit" seitens der Leser zurück, zugleich aber erlegt er dem Wissenschaftler die Aufgabe auf, einen Beitrag zum "Fortgang des Menschengeschlechts" zu leisten. Derartigen Spannungen spürt der Band im Kontext vornehmlich des Niedergangs (wie Fortlebens) der Rhetorik und der Neubegründung der Universität nach.
Der Zeuge verkörpert eine Schlüsselfigur unserer Kultur und Wissenspraxis, obwohl das mittels Zeugenschaft generierte Wissen immer einen umstrittenen Status hat. In diesem Band werden verschiedene Typen und Formen des testimonialen Wissens diskutiert, kulturhistorische und systematische Perspektiven zusammengeführt und in ihren Verflechtungen zwischen epistemischem Wert und ethischer, politischer, sozialer, künstlerischer und religiöser Bedeutung beleuchtet. Im Fokus stehen dabei vor allem die Praktiken und Handlungsszenarien der Bezeugung, da sich in ihren Konstellationen und Dynamiken die Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugnisses und die Optionen zur Etablierung eines Zeugenwissens entscheiden.
Bilder von Gesichtern sind immer interpretiert und entworfen. Sie setzen weniger die konkrete Person in Szene als vielmehr das, was an ihr als bedeutsam erachtet wird. Seit Jahrhunderten konzentrieren sich auf dem Gesicht vielfältigste Deutungen, Ansprüche, Wünsche und Zuschreibungen, die einer bündig entwickelten Geschichte des Gesichts im Wege stehen. Das Buch betrachtet religions-, wissens-, literatur- und kunsthistorische Zäsuren, in denen sich ein je neuartiger Bezug von Gesichtszeichen und Bildgebung formiert. Im Fokus stehen Positionen, die das Gesicht demonstrativ ausstellen, es verstellen oder vermeiden und aussparen. Gelöschte, geleerte, verschattete, fragmentierte, verdrehte, rückansichtige Gesichter rühren epistemologisch und ästhetisch an den Rand des Erkennbaren. Sie sind noch als Gesichter erfassbar, als lesbare Oberflächen werden sie jedoch prekär und gehen nicht länger in Gewissheit und Wiedererkennung auf.
Diese Ausgabe der Interjekte präsentiert erstmals ein vollständiges Verzeichnis von Karlheinz Barcks Schriften. Der 1934 in Quedlinburg geborene Karlheinz "Carlo" Barck gehörte zu den wenigen Romanisten aus der DDR, die schon vor dem Fall der Mauer internationale Wertschätzung genossen. Seine literaturgeschichtlichen Beiträge zur spanischen und französischen Moderne, zur Geschichte der Literaturwissenschaft und zur Theorie ästhetischen Denkens wurden international rezipiert. Als Mitarbeiter am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR (dem Vorgängerinstitut des ZfL) gehörte er zu den maßgeblichen Initiatoren des Wörterbuchprojekts der "Ästhetischen Grundbegriffe". Bis zu seinem Tod 2012 prägte er mit seiner enzyklopädischen Gelehrsamkeit, seiner intellektuellen Neugierde und Gesprächsbereitschaft die Arbeit am ZfL.
Der vorliegende Band möchte mit seinen Beiträgen unter anderem die benannten medien-, genre- und gattungsspezifischen Zusammenhänge von Ästhetiken des Tabuisierten und insbesondere des Tabubruchs beleuchten, so dass der Aufbau des Bandes einer Unterteilung in literarische, (audio)visuelle und theatrale Inszenierungen des Tabus und des Tabubruchs folgt. Nach einer ersten theoretischen Annäherung an den Begriff des Tabus, seine Geschichte und Bedeutungszusammenhänge sowie seine Valenz für die wissenschaftliche Auseinandersetzung werden daher zunächst literarische Inszenierungen verschiedener Tabus und Tabuverletzungen im Vordergrund stehen, während im darauffolgenden Teil Tabus und Tabubrüche in (audio)visuellen Formaten fokussiert werden. Schlussendlich stehen Darstellungen des Tabus und des Tabusbruchs auf der Theaterbühne im Blickpunkt. Der Band geht zurück auf eine im September 2014 stattgefundene und von Studierenden des Masterstudiengangs Komparatistik/Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Paderborn initiierte Tagung zum Thema. Mit großem Engagement haben die Beteiligten eine Konferenz zu einem aktuellen und in den Kulturwissenschaften durchaus breit diskutierten Thema konzipiert und darüber hinaus couragiert die Ergebnisse erster eigener Forschungsprojekte zur Diskussion gestellt. Dieser Band präsentiert in diesem Sinne in der Hauptsache Beiträge von fortgeschrittenen Studierenden, die in diesem Rahmen erste Publikationserfahrung sammeln, darüber hinaus jedoch auch Aufsätze von jungen NachwuchswissenschaftlerInnen in der Qualifikationsphase.
Infrastrukturen sind die Basis jeder Form wissenschaftlicher Forschung. Was aber bedeutet der Einsatz von digitalen Infrastrukturen für die Ermöglichung und Fortentwicklung der digitalen Geisteswissenschaften konkret? Die Beiträge des Bandes sind anlässlich des Symposium "Forschungsinfrastrukturen in den digitalen Geisteswissenschaften. Wie verändern digitale Infrastrukturen die Praxis der Geisteswissenschaften?" im Jahr 2018 entstanden und nehmen sowohl digitale Infrastrukturen in den Geisteswissenschaften wie auch Infrastrukturen für die digitalen Geisteswissenschaften in den Blick.