CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Die vielberufene Zitierbarkeit der Benjamin'schen Wendungen gehört ins Register jener '-abilities', die Samuel Weber entdeckt hat. Sie berührt sich, sozusagen als 'quotability', mit der Brauchbarkeit, Erkennbarkeit, Kontrollierbarkeit, Kritisierbarkeit, Lesbarkeit, Mitteilbarkeit, Reproduzierbarkeit, Übersetzbarkeit, Vererbbarkeit, jenen Qualitäten, die einer Sache, durchweg einer Sache sprachlich-textlicher Faktur, virtuelle Kraft zusprechen. Diese Kraft bezeichnet nicht nur einen Charakter der passiven Eignung oder aktiven Befähigung, sondern dem Vorbild des lateinischen Gerundiums einen impliziten Imperativ. Was zitierbar ist, kann nicht nur, sondern muss zitiert werden, und es wirkt als ein Zu-Zitierendes. Benjaministische Benjamin-Forschung befolgt diesen Imperativ allzu wörtlich. Sie setzt autoritative Zitate an die Stelle sowohl des Kontextes, wo sie zuerst erschienen waren, wie auch der Technik des Denkens und Schreibens, denen sie ihre Spezifik verdanken. Für den autoritativen Gestus des Benjamin'schen Schreibens stehen viele Termini parat, und ein nicht abwegiger Terminus ist der des Aphorismus. Man wird auch vom Fragmentarismus des Benjamin'schen Schreibens sprechen dürfen, von seinem Hang zu Sentenzen (eben zitierbaren Sätzen), zur physiognomischen Zuschreibung, zum gnomischen, einprägsamen, inschrifthaften und monumentalen Wort. Die vieldebattierte Frage, ob Benjamins Stil aphoristische oder fragmentaristische Züge habe, kann in dieser Allgemeinheit etwas akademisch anmuten. Ein Anderes sieht, wer Aphorismus und Fragment zusammendenkt - wie etwa Gerhard Neumann in seiner monumentalen Studie 'Ideenparadiese'-, ein Anderes, wer sie unterscheidet.
The paper engages with the works of Thomas Kling (1957-2005) and elaborates on the specific incorporation of history in Klings poetics. Kling was both known for his wild style of lyrical performance as well as for his vast knowledge of history. Kling aptly puts the style of his lectures in the tradition of the "histrion", the actor in ancient Rome. The paper argues that the connection of history and the theatricality of the histrion becomes fundamental to his poetics. History is for Kling a material that combines linguistic, cultural and literary references that need a performative elaboration. The paper traces this constellation of performativity and history within Klings early poems and essays. It then turns towards a reading of his poems "Manhattan Mundraum" and "Manhattan Mundraum Zwei". In these poems Kling intertwines the performative aspects of his poetics with an inquiry into the history that has shaped the island of Manhattan and the language of its "Mundraum".
Viel Lärm um alles : über das Romanfragment "Guerre" aus dem Nachlass Louis-Ferdinand Célines
(2022)
Der Nachlass des 1961 gestorbenen Louis-Ferdinand Céline war das Ereignis im literarischen Frankreich der letzten Monate. Neben der Tatsache, dass Célines Vulgarität und sein Antisemitismus unverändert zum Skandal taugen, dürften dazu auch die absonderlichen Begleitumstände beigetragen haben, unter denen dieser Nachlass ans Licht kam. Als zeitweiliger Nazi-Sympathisant hatte Céline 1944 die Flucht aus Paris ergriffen und dabei umfangreiche Manuskriptkonvolute zurückgelassen, die jahrzehntelang als verschollen galten. Céline selbst war fest davon überzeugt, sie seien ihm gestohlen und möglicherweise auf dem Flohmarkt verkauft worden. Im Jahr 2005 wurden dem Journalisten Jean-Pierre Thibaudat nach eigener Aussage von einer von ihm selbst lang geheim gehaltenen, erst vor wenigen Wochen effektvoll namhaft gemachten Person Originalmanuskripte Célines im Umfang von ca. 6000 Seiten überantwortet. [...] Erschienen ist bisher ein einziges, etwa 120-seitiges Romanfragment mit dem Titel "Guerre". Céline hat den Text höchstwahrscheinlich zwischen seinen beiden ersten, längst zu Klassikern der Weltliteratur aufgestiegenen Romanen "Reise ans Ende der Nacht" (1932) und "Tod auf Raten" (1936) verfasst. Guerre bildet eine Art Scharnier zwischen ihnen. [...] Wenn "Guerre" unter werkgenetischem Gesichtspunkt auch als bahnbrechender Fund gelten darf, so geht die Bedeutung des Romans hierin nicht auf. "Guerre" ist ein Buch nicht allein für die Céline-Philologie, sondern einer der wichtigsten Romane über den Ersten Weltkrieg und damit einer der wichtigsten europäischen Kriegsromane überhaupt.
Das 18. Jahrhundert ist in vielen Belangen der Kunst und des Wissens weniger modern als gemeinhin angenommen. Trotz aller Unterschiede zwischen den verschiedenen Phasen der Aufklärung und der Romantik basieren Sprach- und Bildkonzepte, Körper- und Subjektvorstellungen sowie Wissens- und Kunstfragen noch auf einem metaphysisch, moralisch und auf Ganzheit gerichteten Natur- und Wirklichkeitsbegriff. Für die Künste bedeutet das weiterhin eine enge Verschränkung mit Wissens- und Erkenntnissystemen im Sinne der klassischen 'artes'- und 'techne'-Komplexe. Kunst und Literatur stehen daher weitgehend im Kontext mit und in direkter Abhängigkeit von den Wissenschaften und den angewandten artes. Sie gelten noch lange als lehr- und erlernbar. Das bedingt auch, dass Ordnungsverhältnisse der Künste und Fragen der funktionalen, medialen und gattungsbezogenen Vergleichbarkeit, Legitimierung und Abgrenzung sowohl innerhalb des Kunstsystems als auch gegenüber anderen Diskursen verhandelt werden müssen. Diese Prozesse der Verschiebung und Verständigung, Abgrenzung und Zusammenführung von künstlerischen und nicht-künstlerischen Diskursen tragen die Künste.
What are called 'natural languages' are artificial, often politically instituted and regulated, phenomena; a more accurate picture of speech practices around the globe is of a multidimensional continuum. This essay asks what the implications of this understanding of language are for translation, and focuses on the variety of Afrikaans known as Kaaps, which has traditionally been treated as a dialect rather than a language in its own right. An analysis of a poem in Kaaps by Nathan Trantraal reveals the challenges such a use of language constitutes for translation. A revised understanding of translation is proposed, relying less on the notion of transfer of meaning from one language to another and more on an active engagement with the experience of the reader.
Die enorme Bedeutung der performativen Rede für den philosophischen Diskurs um 1800 macht Andrea Polaschegg auch für Friedrich Schlegels Wiener Vorlesungen "Geschichte der alten und neuen Literatur" von 1812 geltend. Nicht über deren weitgespannten Gegenstandsbereich, sondern über den Gebrauch des Deutschen reihe sich Schlegel in genau die Literaturgeschichte ein, die seine Vorlesungen überhaupt erst begründeten. Das entscheidende Medium dieser Geschichte sei für Schlegel unweigerlich die Muttersprache, denn nur in ihr könnten sich jene Nationalerinnerungen artikulieren, die eine Literatur bildeten. Von daher müsse der Ort seiner Rede in deren Analyse stets einbezogen werden, schließlich sei das Deutsche in Habsburg weder Schul- noch Amtssprache gewesen.
In der Kritik geht das immer wiederkehrende Lob des rumänischen Schriftstellers Emil Cioran, wenn er auf Französisch schreibt, damit einher, dass seine rumänische Vergangenheit nicht berücksichtigt wird. Ein Teil der Kritik schafft dabei eine einsprachige Darstellung seiner Schriften. Wenn Cioran seine Schreibpraxis evoziert, etabliert er eine Rhetorik, deren Zweck es ist, an seinem Image zu arbeiten, um im französischen Literaturbereich Erfolg zu haben. Nachdem er sich mit einer faschistischen Bewegung in Rumänien beschäftigt hat, verbindet er ständig Sprache, Ideologie und Identität, um sich in Frankreich verändert und reuig zu zeigen. Dieser Artikel verteidigt somit die Betrachtung der gesamten mehrsprachigen literarischen Karriere von Cioran, wenn wir seine Arbeit so objektiv und vollständig wie möglich angehen wollen.
'The Staircase Wit; or, The Poetic Idiomaticity of Herta Müller's Prose' explores idioms and 'Sprachbilder' as poetic views of the mother tongue. This exploration involves a special focus on Müller's Nobel lecture, considered as both a compendium and an enactment of her meditations on language, on the nature of writing, and on the creative process. While Müller frequently employs idioms in her articles, lectures, and novel titles, she never uses them in a superficial way or as a mere reproduction of common or daily speech. Rather, as this essay argues, idioms in Müller's prose are indicative of her attitude toward language and toward the mother tongue in general. In the Nobel lecture as well as elsewhere, idioms serve a dual, occasionally conflicting purpose, combining the need for the 'singularity' of aesthetic experience with the search for a new kind of 'conventionality'.
Als Lehrbeauftragte des Instituts für Deutsche Sprache und Literatur I habe ich eine Blockveranstaltung zu dem Thema "Was nun? – Literatur der Zwischenkriegszeit 1918–1933" an der Universität zu Köln abgehalten. In diesem Beitrag stelle ich drei Arbeitsaufgaben für dieses Proseminar vor, die Studierende niedriger Semester "abholen" und auf die Voraussetzung eines erfolgreichen (Lehramts-)Studiums vorbereiten sollen. Ziel der vorgestellten Arbeitsaufgaben ist es, den Studierenden eine selbstreflexive Haltung als akademische Schlüsselkompetenz zu vermitteln und ihnen zusätzlich zu verdeutlichen, wie ihre Sprachkompetenz auf akademische Leistungen einwirkt: der Erwerb von Bildungssprache wird neben literaturwissenschaftlichen Grundlagen als ein Lernziel der Veranstaltung präsentiert. Der Erfahrungsbericht ist repräsentativ für Lehrende, die vor den pandemiebedingten Einschränkungen digitale Methoden minimal genutzt haben und begrenzte technische Mittel zur Verfügung haben. Ich präsentiere Arbeitsaufgaben für eine digitale Lehrumgebung, die sich lediglich auf die Software Zoom und andere gängige, leicht zugängliche Software und Programme beschränkt. Es stehen daher nicht die digitalen Mittel im Vordergrund, sondern der Erwerb von Schlüsselkompetenzen während einer online-Veranstaltung.
Der Altphilologe Nietzsche verstand die Sprache einer Epoche als Merkzeichen deren kulturellen Klimas. Er sagte auch wie nebenher: "Die Geschichte der Sprache ist die Geschichte eines Abkürzungsprozesses". Damit bekommt er heute so drastisch Recht, wie Absturz das Fallgesetz beweist. Müssen die Sprechenden, die Schreibenden sich immer schneller und schneller verständigen, so dass vereinbarte Sprachkürzel wie Zuruf in der Not eben noch eine gemeinsame Fluchtroute durchs Leben melden? Was heißt überhaupt sich verständigen, da sie längst dazu übergegangen sind, sich zu 'informieren'? Urteile werden in der Kurzform geprägter Wort-Münzen akzeptiert und weitergereicht. Viele Landsleute können keinen vollständigen deutschen Satz mehr bilden. Die Zeitungen konzentrieren das Wahrnehmen auf die Stereotypen von Ereignissen, bei irregulären Zielstellungen des Staates (gegen 'Putin', gegen 'Terror') in regierungskonforme Sprachschablonen gefasst, die Denklinien vorgeben. Gutes Urteil steht fest vor dem Ereignis. Als Gefangene der wie Fesselungen verteilten Termini, finden sich die Wege zu eigenen Sätzen verlegt. Das tägliche Leben spielt in den mails und apps, und wie das Gespräch zwischen Personen verdrängt wird von der Technisierung der Nachrichtenzeichen für Partner und Freunde, die alle zu Bekannten werden, so verbreitet sich die ameriko-englische Geräte- und Hersteller-Sprache wie befreiender Auszug aus der Provinz in die große Welt.