CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Theodor Storm (1817 – 1888) gehört zu den bedeutendsten Repräsentanten des poetischen Realismus in Deutschland. Er schrieb zahlreiche Novellen und Erzählungen sowie ästhetisch wertvolle Gedichte. Die bisherigen literarhistorischen Arbeiten betonen seine eindeutige Verankerung im deutschen Kulturraum, obwohl Storm aus der Stadt Husum (heute Bundesland Schleswig-Holstein) stammte, die bis zur Mitte der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts ein Teil des Königreichs Dänemark war. Nach mehreren Kriegen, in denen Preußen und Österreich gegen Dänemark kämpften, wurde Schleswig zur preußischen Provinz und nach 1871 Teil des Deutschen Reichs. Diese Region prägte den jungen Storm wesentlich: Hier lebten Dänen neben Deutschen. Es handelte sich um diverse Formen der dänisch-deutschen Zweisprachigkeit und Biliterarität, was letztendlich zu einem regen interkulturellen Transfer führte.
Este ensaio investiga a importância da violência na entrevista de Hubert Fichte com Hans Eppendorfer, o Homem de Couro – no plano conteudístico e no plano estrutural. Tenta-se demonstrar como Fichte manipula (violentamente) o entrevistado. A violência que é tema da entrevistae examinada dentro do horizonte da teoria fichtiana do ritual.
Mit der Frage nach der Grundordnung gehen die Untersuchungen dieses Bandes hinter bzw. vor die juristische Semantik des Verfassungsbegriffs zurück. Denn dieser ist, wie andere moderne Fachtermini auch, das Ergebnis einer Verengung. Die 'Verfassung', zunächst ein 'Erfahrungsbegriff', "der den politischen Zustand eines Staates umfassend wiedergibt", habe sich zum Begriff für den "rechtlich geprägten Zustand eines Staates" verengt und falle "nach dem Übergang zum modernen Konstitutionalismus mit Gesetz in eins", währenddessen der Begriff des Gesetzes nun "die Einrichtung und Ausrichtung der staatlichen Herrschaft regelt" und "damit selbst vom deskriptiven zum präskriptiven Begriff" wird, so Dieter Grimm, der die genannte Verengung damit erklärt, dass der Begriff der 'Verfassung' seine "nichtjuristischen Bestandteile zunehmend" abgestoßen habe. Diese nichtjuristischen Bestandteile aber sind Grundlage und Voraussetzung des Grundgesetzes, das sich eine Gemeinschaft gibt, um sich als politisch-rechtliches Gebilde zu konstituieren. Sie betreffen das Selbstverständnis eines politischen Gemeinwesens, ob Land, Staat oder Föderation, das tiefer und weiter zurück reicht als das Gesetz.
[...]
Damit rühren die nichtjuristischen Bestandteile des Verfassungskonzepts an Erfahrungen, Überzeugungen und Prinzipien, nach denen ein Gemeinwesen gebildet wird. Deren normative Kraft wird dadurch verfestigt, dass ihnen Verfassungsstatus verliehen wird – vorausgesetzt man könne einem Gemeinwesen einen einheitlichen Willen, einen volonté generale, unterstellen. Da das in der historischen Realität seltener der Fall ist, kommen in der Formulierung der grundlegenden Prinzipien einer Verfassung auf je unterschiedliche Weise religiöse, ethnische, geographische, sprachlich-kulturelle oder auch sittliche Aspekte zum Zuge, von denen dann zumeist einer als prioritär bewertet und deshalb allen anderen vorangestellt wird: als übergeordneter Gesichtspunkt. Wenn etwa die Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz als "freiheitlich demokratische Grundordnung" definiert ist, dann sind darin leitende Prinzipien formuliert, die sich in diesem Fall auf vorausgegangene historische Erfahrungen gründen, konkret auf die Lehren, die aus Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg gezogen wurden. Das gilt ähnlich für die Europäische Union, die ihr Selbstverständnis als "wirtschaftliche und politische Partnerschaft zwischen 27 europäischen Staaten" auf die Erfahrungen der Kriege des 20. Jahrhunderts zurückführt.
In diesem Aufsatz werden der medizinische und literarische Diskurs bei Büchner miteinander verglichen. Vor allem in seiner Zürcher "Probevorlesung über Schädelnerven" und in seinem "Woyzeck", welche im letzten Lebensjahr Büchners entstehen, scheinen die Begriffe von Subjektivität und Objektivität – in Lenzscher Anlehnung – "auf dem Kopf [zu] gehn". In seiner medizinischen Vorlesung beweist der Privatdozent Büchner, dass es den freien Willen gibt, während er in seinem Woyzeck, insbesondere in der Doktorszene, die Unterdrückung des Protagonisten eindrücklich in Szene setzt. Dieser Aufsatz zeigt somit auf, dass eine kritische Reflexion über die Abhängigkeit und den freien Willen des "Subjekts der Geschichte" auf der Folie der politischen Sensibilisierung in Umbruchzeiten wie im Vormärz möglich wird.
Der Dichter als "poeta vates" ist eines der Dichtungsmodelle, das die Zeit zwischen dem späten 18. und dem frühen 19. Jahrhundert bestimmt. Der Topos des "poeta vates", wie er von Autoren des 18. Jahrhunderts unter anderem in der lyrischen Gattungsform der Hymne akzentuiert wird, ruft ein Modell religiöser Autorschaft auf und greift zugleich auf antike Vorbilder zurück. Autorisiert wird der Dichter von einer höheren Instanz. Mit dem Konzept des "poeta vates" entwirft schon die antike Literatur einen Topos, der den Dichter als Seher, Mittler und als göttlich Inspirierten begreift.
[D]ie Analogie zwischen den vertikalen Ordnungen der Körper- und der Gesichtszonen [wird] in mindestens einem wesentlichen Detail gestört. Dieses Detail ist die Nase. In der alteuropäischen Physiognomik bildet sie ein herausragendes Detail in dem umfassenden System der Ähnlichkeiten, das den Menschen nicht nur zu den kosmischen Elementen, sondern auch zu den Tieren und deren Eigenschaften in Beziehung setzte. [...] Spätestens seit dem 18. Jahrhundert wird diese Tierähnlichkeit als ganze prekär, und das macht gerade die Nase zu einem physiognomischen Ärgernis.
Für die Juli-Ausgabe von "39Null - Magazin für Gesellschaft und Kultur" (7/2019) hat Katharina Rahn mit Moritz Neuffer und Morten Paul über die Neue Rechte, Medien und Fragen der Öffentlichkeit gesprochen. Zusammen mit weiteren Geistes- und Kulturwissenschaftler*innen haben die beiden 2017 den Arbeitskreis "Kulturwissenschaftliche Zeitschriftenforschung" gegründet. Im daraus hervorgegangenen Eurozine-Dossier "Worlds of Cultural Journals" wurde 2018 ihr Aufsatz "Rechte Hefte. Zeitschriften der alten und neuen Rechten nach 1945" veröffentlicht.
Im Folgenden sollen drei Beispiele für Migrationsprozesse skizziert werden, bei denen sich Wanderbewegungen von musikalischen Fachbegriffen und den in diesen verdichteten musikalischen Prozessen mit semantischen Transformationen verbinden. Angesiedelt sind die Beispiele in unterschiedlichen kulturellen Räumen, und sie migrieren zwischen verschiedenen räumlichen Bezugssystemen auf jeweils eigene und besondere Art. Auch unterschiedliche Zeitbereiche werden angesprochen, wenngleich alle drei Fallbeispiele in der Frühen Neuzeit angesiedelt sind.
In einer Antwort auf die im Jahr 1990 von der Redaktion an zahlreiche Autoren gerichtete Umfrage zu 'Irrwegen' oder 'Weiterzuführendem' der Vergangenheit sowie möglichen Perspektiven für die Weimarer Beiträge heißt es über die Zeitschrift: "Sie hat über die Jahre ein durchaus unverwechselbares Profil entwickelt, wobei mir die DDR-spezifische Mischung von Literaturanalyse, Soziologie und Kulturtheorie gut gefallen hat [. . .]". Diese Konstatierung eines 'unverwechselbaren Profils' spricht gleichsam die Intention der folgenden Ausführungen an. Gefragt wird danach, wohin jene Neuprofilierung Anfang der siebziger Jahre führte, mit der aus der Zeitschrift für Literaturgeschichte (so der Untertitel 1957-1963) bzw. Zeitschrift für Literaturwissenschaft (1964-1969; 1968: Literaturwissenschaftliche Zeitschrift) die Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturtheorie wurde, was daraus erwuchs für die Zeitschrift, ihre Arbeitsweise, ihre Inhalte und ihre Bedeutung in der damaligen Wissenschaftslandschaft, und inwiefern sich hierin 'Unverwechselbares', Innovatives, Weiterweisendes, auch womöglich heute noch oder wieder Aktuelles zeigte.
Dem liegt ein wissenschaftsgeschichtliches Interesse zugrunde: Fachzeitschriften organisieren, bündeln und forcieren wissenschaftliche Kommunikation. Sie schreiben Fachgeschichte, und zugleich vermag eine Beobachtung ihrer Geschichte institutionen-, personen-, konzept- und methodengeschichtliche Erscheinungen, Vernetzungen und Prozesse der Wissenschaft aufzuzeigen. Ein Rückblick auf die Entwicklung einer national wie international renommierten Zeitschrift wie der Weimarer Beiträge im angegebenen Zeitraum (1989 wurde ihr der Alfred-Kerr-Preis verliehen) kann somit ein Stück Wissenschaftsgeschichte in der DDR erhellen. Der Fokus ist gerichtet auf 'Organisation von wissenschaftlicher Kommunikation' in den mit der Neuprofilierung bearbeiteten Gegenstandsbereichen, wobei es auch um Fragen der 'Repräsentativität' und Wirksamkeit - der Zeitschrift als Organisator und Akteur jener Kommunikation wie in ihr präsenter Diskurse, Institutionen, Personen - im Kommunikationsraum Wissenschaft und darüber hinaus geht. Immanent werden einige Probleme von Fachgeschichtsschreibung für Wissenschaft in der DDR thematisiert.
Wer freiwillig Umwege geht, versucht den Raum nicht zu dominieren oder schnellstmöglich von Punkt A nach Punkt B zu durchqueren; vielmehr geht er spielerisch und lustvoll auf die Landschaft ein, lässt sich von ihr leiten, indem er sich dem Eros ihrer Tiefe und Weite ausliefert. Der Umweg zwingt zur Langsamkeit. Er verführt den Leib stärker zur Genauigkeit der Wahrnehmung und zur Konkretheit der Erfahrung. Wer ihn eilend auf dem kürzesten Weg zu durchqueren versucht, sieht den Raum hingegen bloß als ein abstraktes Hindernis, das es zu überwinden gilt. Während die direkte Bewegung von Punkt A nach Punkt B eine endliche Strecke definiert, entwirft der Umweg einen reversiblen, unabschließbaren und prinzipiell unendlichen Raum. Die Umwegigkeit spielt mit dem Raum, bricht ihn ironisch, sie verzichtet auf die Strenge und Ernsthaftigkeit der geraden Linie und des direkten Weges.
Es ist wohl dem bedauerlichen Abgrund zwischen literaturwissenschaftlicher Textanalyse und theaterwissenschaftlicher Performanztheorie zu verdanken, dass es bisher kaum wissenschaftliche Arbeiten zu Lotz' Texten gibt. Wolfram Lotz hat sich bisher stets um eine zeitnahe Publikation seiner Stücke und Monologe bemüht, so auch im Fall der "Politiker", die noch im Jahr 2019 bei Spector Books in Leipzig erschienen. Das hat Gründe, handelt es sich doch nicht nur um flexibel handhabbare Spielvorlagen, sondern zugleich um streng organisierte Wortkunstwerke. Im Folgenden soll gezeigt werden, mit welchen poetischen Verfahren "Die Politiker" das große Thema der politischen Gegenwart traktiert: das Ressentiment, also die affektive Lage und Ohnmacht jener vielen Konsumenten von Politik, die derselben erst ihre Autorität und Wirksamkeit verleihen. Das Politische der "Politiker" nämlich, das heißt "[d]as wirkliche Soziale [...] in der Literatur ist: ihre Form".
Trojanows Roman über den britischen Kolonialoffizier Richard F. Burton wurde als Beispiel einer neuen deutschen Literatur gefeiert, die endlich "Vielstimmigkeit" zu ihrem Programm erhoben habe. In diesem Beitrag wird der spezifische Einsatz von Polyglossie im "Weltensammler" untersucht. Dabei interessiert im (post-)kolonialen Kontext, in dem der Roman verortet wird, ob man tatsächlich von einer "Poethik [!] der Mehrsprachigkeit" (Schmitz-Emans) ausgehen kann, oder ob die "fremden Stimmen" der "Subalternen", die der Roman hören lässt, nur ein weiteres Mal exotische Fremdheit vorführen.
Zur prototypischen Modellierung ausgewählter Völker im Tabletop-Strategiespiel Warhammer Fantasy
(2013)
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Typisierung einzelner Völker des Tabletop-Strategiespiels 'Warhammer Fantasy'. Unter methodischen Gesichtspunkten kann man für die Ermittlung von Prototypen auf bewährte textlinguistische bzw. lexikalisch-semantische Verfahrensweisen zurückgreifen. Im Folgenden sollen Referenzidentitäten, Isotopieketten, Attribuierungen und Konnotationen betrachtet werden. Die Fülle des vorhandenen Textmaterials (siehe dazu Abschnitt 3) macht eine Fokussierung unumgänglich. Vorliegende Studie beschränkt sich auf die Textgruppe der völkerspezifischen Armeebücher. Besondere Aufmerksamkeit erfahren hierbei einerseits der Text auf dem Rückendeckel (U4), schlichtweg deshalb, weil die Vermutung naheliegt, dass diese Stelle für eine prototypische Verdichtung besonders exponiert ist, und andererseits die Bezeichnungen und Beschreibungen der armeetypischen Einheitentypen, welche die völkerspezifischen Binnenstrukturierungen aufzeigen.
Die Neuen Kriege seit dem Epochenbruch von 1989 sind Thema der Gegenwartsliteratur geworden, und sie sucht im Raum der Fiktion eine eigene Anschaulichkeit und spezifische Vorstellungen vom Charakter dieser neuen Konflikte zu erzeugen. Zugleich sind diese Neuen Kriege ein Gegenstand der disziplinär erfaßten Diskurse der Wssenschaften, die nach den kurzen Friedenserwartungen im Anschluß an 1989/90 eine Theorie der Kriege im Zeichen einer neuen Globalisierung verstärkt diskutieren. Wenn das gegenwärtige Denken des Krieges literarisch und außerliterarisch seine Kontur gewinnt, erscheint die Relationierung beider Felder geboten, wie in einem neueren literaturwissenschaftlichen Forschungszweig nach dem Verhältnis von Literatur und Wissen bzw. von literarischen Texten und wissensehaftlichen Diskursen gefragt wird. Das Thema Neue Kriege läßt sich jedoch hier aus zwei Gründen nicht umstandslos einreihen. Der eine Grund ist theoretisch-methodischer Art. Nur die Dualität von disziplinär verfaßten historisch-politischen Diskursen und literarischem Text in den Blick zu nehmen ist zu wenig differenziert. Es ist nötig, sie um eine dritte Dimension zu erweitern: den Komplex der Medien, die als Wissensgeber vom Krieg, als eigene Kriegsmittel und als Gegenspieler der Literatur fungieren.
Die Rhetorik, die im Türkischen als "Belagat/Belagat Sanatı" (Hitabet Sanatı) bezeichnet wird, ist ein mehr oder minder ausgebautes System gedanklicher und sprachlicher Formen, die dem Zweck der vom Redenden in der Situation beabsichtigten Wirkung dienen können (Lausberg 1990: 13). In vielen verschiedenen Bereichen wie Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Theologie und Werbung wird in großem Maße von der Rhetorik profitiert. Der Anwendungsbereich der Rhetorik ist jedoch nicht nur auf das Reden begrenzt; die Rhetorik liefert ein detailliertes Modell zur Herstellung von Texten und kann deshalb auch als Texttheorie verstanden werden (Braungart 1997: 290). In diesem Zusammenhang wird die Rhetorik als Instrument der Textbeschreibung und –analyse bezeichnet (Braungart 1997: 290). Laut Gero von Wilpert (2001: 687) übt die Rhetorik durch die künstlichen Schmuckformen einen starken Einfluss auf die schriftlichen Texte, insbesondere auf die Literatur, aus, da die Dichter oder Schriftsteller ihre Werke mit der ästhetischen Kraft der Sprache erstellen. In den Texten wird die Rhetorik durch die sprachlichen Formen und Figuren präsentiert, die im Deutschen als "Rhetorische Figuren" und im Türkischen "Edebi Sanatlar" bezeichnet werden.
Die folgende Untersuchung hat das Ziel, die deutschen rhetorischen Figuren mit den türkischen zu vergleichen und Ähnlichkeiten sowie Unterschiede zwischen den rhetorischen Figuren anhand von den Beispielsätzen in beiden Sprachen aufzudecken und zu analysieren.
"Die Untermieterin" ist Hanna Kralls erster und einziger Roman. International bekannt wurde die Autorin aber bereits 1977 durch die Veröffentlichung ihres Buches zum Aufstand im Warschauer Ghetto. Auf Deutsch erschien es in der Bundesrepublik unter dem Titel "Schneller als der liebe Gott" und parallel in der DDR unter dem Titel "Dem Herrgott zuvorkommen", bevor es infolge der Zensur ihrer Schriften in Polen auch in Ostdeutschland zensiert wurde. Im Zentrum steht Marek Edelmann. Die von ihm, dem einzigen überlebenden Kommandeur des Aufstandes im Warschauer Ghetto, entworfenen Kategorien, allen voran seine Unterscheidung zwischen "hell" und "dunkel", übertrug Krall auf ihren Roman "Die Untermieterin", wo die Unterscheidung gar den ethischen Kern des Werks bildet.
Das Konzept der Intersektionalität hat sich in den letzten Jahrzehnten in den Geistes-, Sozial- und Lebenswissenschaften als überaus einflussreich erwiesen. Auch in der Literaturwissenschaft gewinnen Intersektionalitätstheorien zunehmend an Bedeutung. Der Beitrag geht von dieser Entwicklung aus und fragt zunächst allgemein danach, wie sich das Konzept für literaturwissenschaftliche Methoden und Fragestellungen fruchtbar machen lässt, in denen die Beschäftigung mit Intersektionalität über ein Verständnis dieser als reine Identitätstheorie hinausgeht. Die Analyse von Bernardine Evaristos preisgekröntem Roman "Girl, Woman, Other" (2019) führt anschließend vor, wie Identitätsfragen aus intersektionaler Perspektive nicht nur Interdependenzen der Ungleichheiten zwischen Figuren in den Blick nehmen, sondern auch die systemischen Grundlagen dieser Ungleichheiten sowie deren Einbindung in eine hegemoniale Kulturindustrie. Mit seiner Thematisierung von Intersektionalität als Thema auf mehreren Ebenen dient der Roman als Beispiel, wie das Konzept als Theorie und Methode die Literaturanalyse bereichern kann, und umgekehrt, welche Impulse sich aus der Beschäftigung mit Literatur und narratologischen Analysekategorien wie Perspektive und Perspektivenstruktur auch für die Intersektionalitätsforschung gewinnen lassen.
"Wirklich notwendig scheint nur das Vergangene, daran eben nicht mehr zu rütteln ist. Aber ist denn das Vergangene wirklich notwendig?" – so fragt Georg Lukács in seiner "Metaphysik der Tragödie", mit der die Essay-Sammlung 'Die Seele und die Formen' (1911) zu ihrem Abschluss kommt. Man kann Blochs 'Geist der Utopie' (1918) als den Versuch ansehen, eine breit angelegte negative Antwort auf diese Frage zu geben: Nein, das Vergangene ist keineswegs wirklich notwendig. Denn im Mittelpunkt von Blochs schwungvoll-pathetischen Überlegungen steht die Entdeckung eines Vermögens, dem es gelingt, die im Vergangenen schlummernde Zukunft zu befreien. Um diese ganz besondere Erfahrung zu bezeichnen, erfindet Bloch einen spezifischen Terminus: 'Eingedenken'. Hiermit führt er ein Konzept ein, das im deutsch-jüdischen Denken des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielen wird, die noch nicht angemessen beleuchtet wurde.
"Dieses Buch, geschätzte Leserin, geschätzter Leser", schreibt Adam Soboczynski in der Vorrede seines 2008 erschienenen Erzählbandes "Die schonende Abwehr verliebter Frauen", "enthält dreiunddreißig Geschichten, die darum kreisen, wie sich in einer Welt geschickt zu verhalten sei, in der Fallen lauern und in der Intrigen walten. Die Kunst der Verstellung, die eine jahrhundertelange Tradition hat, erlebt eine Wiederkehr." Im gleichen Jahr publiziert Ulrich Hemel einen Ratgeber für Manager, "Sich vor dem Siege über Vorgesetzte hüten", in dem er sich – genauso wie Soboczynski – auf Baltasar Graciáns "Oráculo manual" beruft. Diese Koinzidenz steht nicht alleine: Seit den 1990er Jahren gibt es eine intensive Rezeption von Graciáns "Handorakel" in populärer Literatur, etwa in der Form von sprachlich aktualisierenden Übersetzungen oder von Ratgebern für eine erfolgreiche Karriere in der Wirtschaft. Meist stellen diese Adaptionen (darunter fasse ich Übersetzungen, kommentierende Neu-Abdrucke und Texte, die sich eng auf das Oráculo manual beziehen) das Handorakel als Text vor, der dem heutigen Leser helfen könne, Erfolg zu haben, und der bisweilen erstaunlich explizit egoistische und erfolgsorientierte Ratschläge etwa zu verstelltem Verhalten gebe. So beschreibt etwa Christopher Maurer seine englische Übersetzung des "Oráculo manual", die für den Erfolg Graciáns in den 1990er Jahren entscheidend war, wie folgt: "The Art of Worldly Wisdom. A Pocket Oracle is a book of strategies for knowing, judging, and acting: for making one's way in the world and achieving distinction and perfection" und hebt die "apparent subordination of ethics to strategy" hervor, die Gracián so "disconcertingly 'modern'" mache.
In ihrem Buch "Verzeichnis einiger Verluste" (2018) experimentiert die 1980 in Greifswald geborene Autorin und Buchgestalterin Judith Schalansky mit einer Reihe unterschiedlicher Schreibweisen und Textsorten, darunter auch, in dem Kapitel "Hafen von Greifswald", mit dem sogenannten Nature Writing, das heißt der nichtfiktionalen, literarisch anspruchsvollen Repräsentation von Natur. Da Schalansky das Verfahren in ihrem Prosastück gleichsam in Reinform vorführt, möchte ich ihren Text zum Anlass nehmen und als Bezugspunkt verwenden, um einige Aspekte des Nature Writings aufzuzeigen und zu diskutieren. Diese betreffen sowohl die formale Bestimmung wie die historische Kontextualisierung naturmimetischer Literatur nach der Romantik. Im ersten Abschnitt werde ich zunächst, noch ohne Bezug auf Schalansky, in groben Zügen die Vorgeschichte des Nature Writings, und zwar mit Blick auf das ästhetische Konzept von Landschaft, skizzieren. Im zweiten Abschnitt beschreibe ich anhand des Beispieltextes zentrale Schreiboperationen, Stilmittel und Vertextungsmuster, die in einem Nature-Writing-Text Naturpräsenz suggerieren. Im dritten Abschnitt möchte ich zeigen, wie sich das initiale Motiv des Nature Writings in Schalanskys Text darin abbildet und verdichtet, dass sich die Verfasserin auf eine bestimmte Weise an die Tradition der romantischen Landschaftsmalerei, verkörpert durch das Werk Caspar David Friedrichs, anschließt und zugleich von dieser abgrenzt. Hierbei rekurriere ich auf den, allerdings mehrdeutigen Begriff der Ekphrasis. Abschließend möchte ich noch kurz auf Einwände eingehen, die gegen das Nature Writing erhoben werden, und Hoffnungen ansprechen, die an das Genre anknüpfen.