CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Im akademischen Forschungsbetrieb ist es ein kaum bestrittener Gemeinplatz, dass es im Œuvre Federico Fellinis eine "markante Zäsur" gebe, die man um 1960 ansetzt, je nach diskursiver Strategie kurz vor "Otto e mezzo" (1963) oder auf den Spuren Kracauers vor "La dolce vita" (1960), wobei es in der Regel um einen "Bruch mit dem neorealistischen Mainstream" zugunsten einer eher "traumaffinen Schaffensperiode" gehen soll. Die folgenden Überlegungen wollen zeigen, dass es sich hierbei um eine Einteilung handelt, die eher machtgestützten Klassifikations- und Verwaltungsbedürfnissen entgegenkommt, als dass sie der Sache selbst: dem filmästhetischen Werk Fellinis, gerecht würde. Dabei sollte deutlich werden, dass diesem Werk ein mehr oder weniger unbewusstes mythopoetisches System zugrunde liegt, das die formal und narrativ unbestreitbar verschiedenen Filmwerke zu einem in sich schlüssigen Zusammenhang fügt.
"Was wäre ein Zeichen, das nicht zitiert werden könnte?", fragt Jacques Derrida in seinem 1972 erschienen Aufsatz 'Signature evenement contexte', um kurz darauf festzustellen: "Jedes Zeichen, sprachlich oder nicht, gesprochen oder geschrieben (im geläufigen Sinn dieser Opposition), als kleine oder große Einheit, kann zitiert – in Anführungszeichen gesetzt – werden; von dort aus kann es mit jedem gegebenen Kontext brechen und auf absolut nicht sättigbare Weise unendlich viele neue Kontexte zeugen." Zitieren wird hier als eine Bewegung des Herausnehmens aus einem Kontext und Einfügens in einen anderen Kontext beschrieben - und für diese doppelte Geste, die dem Akt des Zitierens zugrunde liegt, verwendet Derrida die Metapher der Pfropfung: "Auf dieser Möglichkeit möchte ich bestehen", heißt es in 'Signatur Ereignis Kontext': der "Möglichkeit des Herausnehmens und des zitathaften Aufpfropfens [greffe citationelle], die zur Struktur jedes gesprochenen oder geschriebenen Zeichens gehört". Damit wird die Pfropfung zu einer Figuration, zu einer Verkörperung dessen, was im Akt des Zitierens und durch den Akt des Zitierens geschieht, wobei den Anführungszeichen eine besondere Funktion zukommt: Sie signalisieren, dass das Zeichen oder die Zeichenkette, die zwischen Anführungszeichen gesetzt wurden, anders interpretiert werden soll als sie bisher interpretiert wurde. Anführungszeichen signalisieren also einen Wechsel des "Deutungsrahmens". Das gilt für einfache Anführungszeichen, die eine ironische Distanzierung signalisieren ebenso wie für die doppelten Anführungszeichen. Die doppelten Anführungszeichen zeigen nicht nur einen Wechsel des Deutungsrahmens an, sondern sie zeigen auch an, dass das, was zwischen die doppelten Anführungszeichen gesetzt wurde, nicht von dem stammt, der spricht oder schreibt. Sie zeigen ein 'von jemand anderem' an: sei es, um diesem anderen damit die Ehre der Urheberschaft zu geben und damit zugleich sein Copyright zu respektieren; sei es, um dem anderen die Verantwortung für das, was zwischen den Anführungszeichen steht, zuzuschreiben. Insofern zeigen doppelte Anführungszeichen zugleich die Distanz und die Differenz zwischen zitierendem Subjekt und zitiertem Subjekt an.
Zu den Funktionen der Mode
(2016)
In der Literatur über die Mode herrscht Einvernehmen darüber, dass die Moden früher die oberen Schichten oder Stände von den nächstfolgenden abgrenzten; ging eine Mode erst einmal auf andere Schichten über, so musste eine neue Mode entwickelt, ein neues Abzeichen gefunden werden. Diese Bewegung gibt es, auch wenn die treffliche Charakterisierung durch den Rechtshistoriker Jhering von der "Hetzjagd der Standeseitelkeit" inzwischen überholt ist, noch immer. Auch in unserer Gesellschaft bietet die Mode - und zwar nicht nur die Kleidermode, sondern jede Form des modischen Konsums - die Möglichkeit, die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kreis, einer bestimmten Gruppe anzudeuten. Dies gilt im Hinblick auf die sozialen Schichten, so wenig diese im einzelnen definierbar sein mögen; es gilt aber auch im Blick auf andere Gruppierungen wie die Jugend, die heute ein ganz wesentlicher Ausgangspunkt für Moden ist, die sich von hier aus über die ganze Gesellschaft verbreiten. Die Jugendlichen bleiben so lange bei einer Mode, bis die anfängliche Barriere von den anderen übersprungen wird [...].
Is there something like a 'scientific' approach to the reading or interpretation of literary texts as is suggested by the German term 'Literaturwissenschaft'? This essay argues that genuinely scientific criteria such as the intersubjective verifiability of a given reading do not apply to the reading of literary texts. The reason is that such texts enable a quasi infinite range of different readings the preconceptions of which are contingent upon the individual readers, their previous experiences, literary as well as non-literary, and their expectations. — What, then, are the tasks of a scholarly reading of literary texts? Firstly, the theoretical reflection upon the status of such texts in comparison to pragmatic texts; secondly, the attempt at reconstructing their historical context (in terms of discursive history), and thirdly, a reading with regard to present-day problems. The 'quality' of a scholarly reading of a literary text would thus be dependent not on its 'objectivity', but rather on its capacity to produce resonances amongst other present-day readers, scholarly and non-scholarly.
"À la mode", "Mode", "modisch", "alamodisch" (wie das Adjektiv noch bis ins frühe 18. Jahrhundert lautete): Schon die bloße Detektion danach in Titeln des Sprech- und Musiktheaters von Mitte des 18. bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts lässt bemerkenswerte Schlüsse zu: "Mode", "modisch", etc. wurden als titelgebende Begriffe, also (vermutlich) auch als programmatische Motive eher in der Komödie und im Singspiel beziehungsweise der komischen Oper als in Schauspiel, Tragödie, Opera seria thematisiert; von den Autoren und Librettisten des komischen Alt- Wiener (Musik-)Theaters weitaus häufiger zur dramatischen oder thematisch-figurativen ‚Kristallisation‘ (Hermann Bausinger) herangezogen als von den Autoren des aufklärerischen, des sogenannten weinerlichen Lustspiels und des Rührstücks; und dies in besonderer Weise gehäuft im Dezennium zwischen 1765 und 1775 und dann wieder in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Unter Ausschluss der nur vier begriffseinschlägigen, in diesem Zeitraum in Deutschland entstandenen und gespielten Lustspiele [...] ergibt sich ein Corpus von 15 in Wien entstandenen und vornehmlich in Wien und auf den Bühnen der Habsburger Monarchie gespielten dramatischen Erzeugnissen rund um die "Mode" und das "Modische".
Zu Hegel nicht ohne Fichte
(2020)
Geht man die Philosophiegeschichte treu durch wie der Zeiger das Ziffernblatt an der Wanduhr, so weiß man bald nicht mehr, wo man ist. Das kommt den Hegel-Leser an, erinnert er sich noch, was bei Fichte stand, und lässt sich nicht täuschen von der brausenden Kant- und Fichte-Polemik des jungen Privatdozenten, als der sich selbst noch suchte. Bald wusste er besser, was ihn auf seinen Weg gebracht. Es gibt Polemiken in der Philosophie, wie von Leidenschaft getrieben, und am heftigsten gegen den im Denken Nächsten. Hegels Anfänge waren Kant- und Fichte-Abfertigungen gewesen. Kant und Fichte, eben 20 Jahre nach ihren epochemachenden Schriften wurden sie schon für Zurückgebliebene erklärt. Nicht Weltblick für den schöpferischen Geist der Zeit werde geöffnet von der transzendentalen Logik und deren von Fichte daraus gebildeten idealistischen Handlungstheorie. Nur schmale 'Reflexionsphilosophie der Subjektivität' komme hier mit ewig unbefriedigtem Sollen, statt auf das Weitertreibende in der Sache Geschichte selbst zu sehen. Die beiden jungen Schwaben, nach Jena, ins Zentrum des die Schulmetaphysik zurücklassenden Kantianismus gekommen, sie schrieben Philosophie wie Eroberer, die ihre geistige Herrschaft antreten wollen. Das hohe Sendungsbewusstsein für die eröffnete neue Lehre gehörte zur an sich altaufklärerischen Überzeugung, dass Philosophie - nicht mehr Religion - uns eine menschheitsführende Weltsicht öffne. Die Frage blieb, am schärfsten zwischen Hegel und Fichte, ob Philosophie vorangehe und den Weg weise, so dass auch real nach deren Programm gehandelt werden solle, oder doch nur den je geschehenen Schritt begreife und ihn anzuerkennen lehre. Aber in seinen philosophiehistorischen Vorlesungen der 20er Jahre schilderte Hegel dann die Logik des Konstruktionsprinzips 'Arbeit' in der Fichte'schen Wissenschaftslehre detailliert; noch immer kritisch, aber als die ernste Sache bei einem, der etwas gefunden habe, das mit uns fortgehe. Im Schlusskapitel der "Phänomenologie des Geistes" (1807) hatte er schon die Parallel-Wege der (europäischen) Menschheit von Ideal- und Realgeschichte ganz im Duktus des Fichte'schen Praxisbegriffes konstruiert, bis hin zum Ich-Kennwort. Das Gerüst der Hegel'schen Geistphilosophie steht überhaupt auf dem Fundament des Fichte'schen Handlungs- und Vergegenständlichungsgedankens.
Beim Nachdenken über die Logik des Nachs im modernen Diskurs drängen sich [...] eine Reihe offener Fragen auf, die uns gegebenenfalls in die Lage versetzen, das Nachdenken über das Nach als eine Art von Nach-Denken aufzufassen. Um zu diesem Bindestrich zu gelangen, könnte zunächst gefragt werden, was es wohl bedeuten möge, wenn es heißt, daß etwas einem anderen "folge". Was hieße es demnach, einem Nach nachzudenken? Markiert das Folgende einen klaren Bruch mit dem Vorausgegangenen, oder schreibt es vielmehr das ihm Vorausgehende in gewisser Weise fort, weil es unausweichlich den Begriffen und Bedingungen dessen verhaftet bleibt, von dem es geglaubt hatte, Abschied genommen zu haben? Ja, ist nicht gerade die Abkehr und das auf sie Folgende eine Art und Weise, nachträglich eben jenes zu stärken und gar zu konnstruieren, desen Verabschiedung die Bewegung des Folgen ja erst ins Leben gerufen hatte?
Zukunft
(2019)
In seiner Monographie zum Konzept der Zukunft hat sich Lucian Hölscher (Die Entdeckung der Zukunft, Göttingen 2016) einer Schlüsselkategorie aus dem Begriffsfeld der Zeit zugewandt, das im Wörterbuch der "Geschichtlichen Grundbegriffe" auffällig wenig bearbeitet ist. Das Thema der Zeitlichkeit ist dem Buch dabei selbst eingeschrieben, weil es sich hier um die aktualisierte und deutlich erweiterte Neuauflage einer Studie handelt, die erstmals im Jahre 1999 publiziert wurde. [...] Das Grundgerüst der Gliederung in vier größere Epochenabschnitte, beginnend mit dem Zeitraum von 1770 bis 1830, hat Hölscher beibehalten. Dem Themenschwerpunkt der vorliegenden FIB-Ausgabe entsprechend soll im Folgenden vor allem die Darstellung der Entwicklungen des 20. Jahrhunderts - also nach Hölschers Einteilung des Zeitraums von 1890 bis 1950 und der Zeit seit 1950 - betrachtet werden, denen etwa zwei Drittel des Buches gewidmet sind.
Zukunftsutopien und Weltraumträume : sozialistische Science-Fiction-Filme aus dem Osten Europas
(2017)
Wenn die 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin dieses Jahr ihre Retrospektive unter dem Titel "Future Imperfect" dem Science-Fiction-Film widmen, dann lässt sich dies auch als ein Beitrag zum anstehenden 100. Jahrestag der Oktoberrevolution sehen. Denn schaut man sich die auf der Berlinale präsentierten Filme aus dem sozialistischen Osten Europas heute an, dann ist das auch - wie Boris Groys in Hinsicht auf unsere "postkommunistische Situation" schreibt - ein Blick zurück aus einer neoliberalen Welt der "offenen, heterogenen und pluralistischen Märkte" auf das Projekt einer "universalistischen, aber geschlossenen Gemeinschaft", die noch lange an der Möglichkeit einer "perfekten Zukunft" festhielt.
Wenn heute vom Kulturerbe die Rede ist, ob im europäischen oder im globalen Maßstab, wird die Vorstellung eines aus der Vergangenheit stammenden Vorrats betont, den man zu inventarisieren, zu bewahren und an kommende Generationen weiterzugeben habe. Das gilt für das 'materielle' wie für das 'immaterielle' Erbe, das im EU-Beschluss eigens erwähnt wird und dessen Erhalt sich auch die Unesco bereits seit 2003 widmet. Die Berufung auf künftige Generationen ist eine stehende Formel, nicht nur in den Konventionen von EU und Unesco, sondern überhaupt in Rhetoriken der Bewahrung auf den unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Feldern - mit fließenden Übergängen zu dem, was man heute 'Nachhaltigkeit' nennt. Damit wird das Erbe als eine denkbar weit reichende Logik der transgenerationalen Übertragung erkennbar.
Im World-Heritage-Programm der Unesco sollen die als schützenswert hervorgehobenen Monumente, Naturschönheiten oder auch kulturellen Praktiken exemplarisch für das Welterbe der Menschheit insgesamt stehen. Wie aber wird deren Beispielhaftigkeit begründet? Und wie funktioniert die kulturelle Kanonbildung im Einzelfall? "Frontiers of the Roman Empire" heißt eine der 1073 Stätten (Stand: Mai 2018) auf der World Heritage List der Unesco. Zu diesen "Frontiers" gehören der Limes in Südwestdeutschland, der Hadrianswall in Nordengland und der Antoninuswall in Schottland. Es handelt sich also um eine dezentrale, transnationale, grenzübergreifende Stätte, die ihrerseits aus Grenzen besteht, noch dazu aus den hinterlassenen Grenzen eines Imperiums.
Im Erhabenen befinden sich nicht die Erkenntniskräfte (also Einbildungskraft und Verstand) in einer freien Harmonie wie bei der Erfahrung des Schönen (wie immer sich eine solche freie Harmonie herstellen und bestimmen lassen kann), sondern Einbildungskraft und Vernunft befinden sich in einem Widerstreit […]. Die Vernunft fordert von der Einbildungskraft, Dinge darzustellen, die sie nicht direkt, sondern nur indirekt oder negativ darstellen kann, und zwingt die Einbildungskraft dadurch zu einer indirekten Darstellung ihrer (d.h. der Vernunft bzw. ihrer Ideen) selbst. Das Erhabene gründet in der Unmöglichkeit einer positiven Darstellung von Vernunftideen […]. Dem komplizierten Zusammen- und/ oder Wechselspiel von erhabenen Naturphänomenen, sittlichen Ideen, Vernunft und Einbildungskraft gehe ich im folgenden genauer nach. Während also der Schönheit die Funktion einer fundierenden Selbstbestätigung des Subjekts zugesprochen wird, da sich in ihr die Angemessenheit unserer Erkenntnisvermögen zur Beschaffenheit der Naturdinge ästhetisch und lustvoll zeigt, bringt das Erhabene eine Dissoziation von Subjekt und Welt und damit zunächst eine Unlust mit sich. In der Erfahrung des Erhabenen zeigt sich zunächst die Unangemessenheit jeder bestimmten Anschauung der Einbildungskraft zur Darstellung des erhabenen Gegenstands. In einem zweiten Schritt dient diese uneinholbare Unangemessenheit zur Darstellung einer Idee der Vernunft – vor allem der Idee der menschlichen Freiheit. Bloß uneigentlich erhaben ist dagegen die erhabene Natur, die entweder schlechthin groß oder aber gewaltig ist. Das Erhabene markiert den Riß zwischen dem freien menschlichen Subjekt und der kausalnotwendig verfaßten Natur, den es zugleich zu überbrücken behauptet.
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage des Geschlechts der Macht im Kolonialismus anhand der thematischen Konstellation von "Weiblichkeit, Männlichkeit und Asymmetrie" in Alfred Döblins Amazonastrilogie. Anders als frühere Beiträge über die Trilogie, die sich mit den Themen "Kolonialismus", "Interkulturalität", "koloniale Gewalt Struktur" und mit anderen sich auf ästhetische und publizistische Schriften des Autors ergebenden thematischen Schwerpunkten befassen, wird die Dialektik von Macht und Gender im Selbstermächtigungsprozess der Amazonen zunächst als destruktiv für innerindianische Geschlechtsverhältnisse und dann kontraproduktiv für die von eigenen Ehemännern angenommene antikoloniale Strategie betrachtet. Eigene Ehemänner geraten ins Kreuzfeuer der Kritik und Gewalt, wobei antikoloniale Front sozusagen dadurch unterminiert wird. Nachgewiesen wird im Beitrag, wie Amazonen, ihren politischen Zynismus betreibend, eher zu Alliierten der Kolonisatoren werden und unbewusst zur Verankerung des Kolonialismus beitragen. Des Weiteren wird untersucht, wie die selbstreflexionsfähigen und vernunftbegabten Amazonen aus früheren politischen Fehlentscheidungen lernen, ihre gegen eigene Ehemänner gerichteten politischen Gesten und Überzeugungen nun von Grund auf umzudenken, um in eigener Kulturordnung Eintracht zu stiften, wodurch eine zukunftsorientierte gemeinsame antikoloniale Front ermöglicht werden könnte.
Literatur und Kunst sind schon immer ein Barometer des Kultur- und Mentalitätswandels in der Gesellschaft gewesen. Auch heute reagieren Künstler_innen auf Veränderungen in der 'postmodernen' Welt, die sich auf solche Stichpunkte bringen lassen wie Globalisierung, Migration, Grenzüberschreitungen zwischen Nationen, Kulturen und Sprachen, Auflösung fester Identitäten. Mit künstlerischen Mitteln wird zudem – affirmativ, kritisch, ironisch – auf theoretische Konzepte Bezug genommen, mit denen Kulturwissenschaftler_innen die neuen sozialen, kulturellen und ökonomischen Lebensformen beschreiben. Zu diesen Konzepten gehört die auf Welsch zurückgehende Transkulturalität. Die damit eingeführte neue Sicht auf Kulturkontakte löst seit den 1990er Jahren zunehmend die Idee der Interkulturalität und die Prämissen der post-colonial studies ab, ganz zu schweigen von der überholten und politisch gescheiterten Multikulturalität.
"Das Publikum schrie, brüllte, tobte vor Lachen, fiel von den Stühlen, japsend", überliefert Lion Feuchtwanger die Wirkung des Münchner Komikers Karl Valentin, eines der großen Dramatiker deutscher Sprache. Hermann Hesse erzählt von "brausenden Lachsalven", die Zuschauer seien "wie Besessene vom Dämon gestoßen" worden, so sehr hätten sie gelacht. Kurt Tucholsky beschreibt einen Saal voller Lachen; Rudolf Frank berichtet von "Wogen unbändigen Lachens, die das Haus überfluteten". Und Bertolt Brecht schüttelte sich, wie er sich erinnert, vor Lachen. Im Publikum saßen begeistert die Brüder Mann, Alfred Polgar, Franz Blei, Carl Zuckmayer, Samuel Beckett (der "recht traurig viel gelacht" habe) und nicht wenige der Kulturgrößen der 1920er und 1930er Jahre. Brecht, der mit Valentin auch auf dem Oktoberfest spielte und ihm einen entscheidenden Hinweis für den Verfremdungseffekt verdankte, bezeichnete ihn als eine der "eindringlichsten Figuren der Zeit". Die Literaturgeschichten hingegen schreiben Karl Valentin keine besondere Bedeutung zu - wie sie überhaupt der Komik wenig Aufmerksamkeit widmen. Die Geringschätzung einer "Unterhaltung" verweist die komische Figur von der Bühne des Bedeutsamen: Einem Publikumserfolg mißtraut der eifersüchtige Ästhet, der sonst das Wort "Volk" politisch-moralisch gern im Munde führt.
Der Absatz hat in der Sprachtheorie nur relativ wenig Aufmerksamkeit gefunden. In diesem Beitrag soll den Gründen für die Marginalisierung dieser schriftsprachlichen Einheit nachgegangen werden. Zu diesem Zweck wird der Absatz zunächst im Kontext 'benachbarter' Einheiten (Text, Satz, Periode) betrachtet. Danach werden einschlägige Beiträge gesichtet, und zwar sowohl ältere und neuere Absatzcharakterisierungen aus dem deutschen Sprachraum als auch Beiträge aus anderen Sprachkulturen. Anschließend wird die linguistische Relevanz dieser Einheit diskutiert. Hierbei wird unter anderem demonstriert, dass viele Beiträge zur Absatztheorie der traditionell-rhetorischen Konzeption der Periode nahe stehen, sodass es sich empfiehlt, diese beiden Konzeptionen im Zusammenhang zu betrachten.
Stumme Diener, menschliche wie nichtmenschliche, sind entgegen ihrer Bezeichnung "things that talk", Stumme Diener können gar nicht anders, als doch zu reden. Ihre abgewandten, verstellten Stimmen, ihr Flüstern und Murmeln bei halbgeöffnetem Mund gilt es zu vernehmen. Nicht nur der Subalterne spricht, auch die Dinge. Sie können gar nicht anders als im Modus des Stummgeschaltet-Seins dennoch mitzureden mit Hilfe der um sie herumgelagerten Geschichten. Stumme Diener sind Medien, die Sprechen machen.
Am 29. Oktober 2020 starb im hohen Alter von 93 Jahren im belgischen Genk der international renommierte Komparatist Hugo Dyserinck, langjähriger Leiter des nach seiner Emeritierung unrühmlich "abgewickelten" einstigen "Lehr- und Forschungsgebiets Komparatistik" in der Philosophischen Fakultät der RWTH Aachen. Der am 27. August 1927 im belgischen Brügge geborene Dyserinck wird vor allem als spiritus rector des "Aachener Programms" in Erinnerung bleiben. Er vermochte mit seiner imagologischen Version der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft nicht nur Marksteine in der Komparatistik zu setzen, sondern wirkte darüber hinaus auch fruchtbar auf die kulturwissenschaftliche Europaforschung. Mit der von ihm jahrzehntelang in Theorie und Praxis entscheidend geprägten und propagierten komparatistischen Spezialdisziplin "Imagologie" lieferte der polyglotte Kosmopolit Dyserinck einen wichtigen Beitrag zur Dekonstruktion des Denkens in nationalen bzw. ethnischen Kategorien.
Zum Tode von Claus Träger
(2006)
Die Gestaltung eines Fremdsprachenunterrichts ist ohne Texte kaum vorstellbar, da sie Mittel für das Lehren und Lernen einer Fremdsprache sind. Die Arbeit mit Texten dient zur Aneignung von grammatischen Regeln und durch diese Aneignung werden die Verknüpfungen der Sätze und die Wiederaufnahmerelationen in einem Text leichter semantisiert. Die Sätze haben in einem Text einen Zusammenhang, was durch die Wiederaufnahmen von Ausdrücken hergestellt wird. Durch die Bearbeitung der Wiederaufnahmestrukturen erkennen die Lernenden den thematischen Zusammenhang und durch Übungen lernen sie, wie die Wiederaufnahme geleistet wird. In der vorliegenden Arbeit wurde die Kurzgeschichte 'Das Brot' von Wolfgang Borchert bezüglich der Wiederaufnahmerelationen analysiert und mit seiner türkischen Wiedergabe verglichen. Dabei wurden Unterschiede festgestellt und diese aufgezeigt.
Im folgenden wird versucht, die binären Schematismen "Natur" / "Kultur" und "Volk" / "Nation", welche den Vergleich der beiden Autoren bislang geleitet haben, kritisch zu befragen. Der Begriff Kultur, der ein bestimmtes Verhältnis des Menschen zur Natur bzw. zu dem, was jeweils soziokulturell als Natur konzipiert wird, bezeichnet, wird in der sogenannten Sattel- bzw. Umbruchzeit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem nationalen Wir-Bild bzw. Wir-Ideal, das die bürgerliche Bildungselite Deutschlands dem Fremd-Bild adeliger bzw. französischer Zivilisiertheit antithetisch entgegenhält. Weist Herders Volks-Begriff sowohl soziale (nach innen) als auch nationale (nach außen) Implikationen auf, so beruht auch sein Konzept von Nation nicht ausschließlich auf kulturellen, sondern auch auf politischen Kategorien; es zielt - das soll im Vergleich mit der Rousseauschen Zivilisationstheorie deutlich gemacht werden, - auf ein spezifisches Balance- bzw. Relationsverhältnis von "Natur" und "Kultur".
Wie kann das 'Funktionieren' von Prophezeiungen erklärt werden. Eine begriffliche Analyse von Furcht und Angst, und von Zeit und Wissen zeigt, dass durch Prophezeiungen Angst gebunden werden kann. Mit dem Glauben einer Prophezeiung kann aus Unbestimmtheit, der jede Vorstellung fehlt, Zukunftserwartung werden, die dadurch Bestimmtheit besitzt, dass es eine gewisse Vorstellung von dem gibt, was sich ereignen wird. Auf diese Weise kann sich Angst in Furcht, Hoffnung oder frohes Erwarten verwandeln. Als Prophezeiung hat auch die Offenbarung des Johannes dieses Potenzial der Bindung. Ihr Text im Neuen Testament sagt aber nicht nur voraus, was einst geschehen soll, sondern er lässt auch dadurch, wie er die Voraussage verfasst, Bedingungen seines 'Funktionierens' erkennen. Versucht man, die Zusammenhänge dieser Bedingungen zu bestimmen, gelangt man zur Logik von Modellen und zu der Beobachtung, dass die gewaltige Wirkkraft der Offenbarung über bald 2000 Jahre der zivilisatorischen und kulturellen Entwicklung hinweg besser verständlich wird, wenn man in ihr ein Modell sieht. Es ist zu vermuten, dass die Logik des Prophezeiens, die die Offenbarung als Modell erkennen lässt, allgemeinere Gültigkeit besitzt. Sie könnte Prognostik und Prophetie für modelltheoretische Analysen zugänglich machen.
Es sind unruhige Zeiten Ende 1918, als sich im Zuge der Revolution in Deutschland Arbeiterräte gründen. Kurzzeitiger Vorsitzender in München ist Heinrich Mann. Auch in Berlin ist mit Kurt Hiller ein 'Literat' Vorsitzender des "Rates der geistigen Arbeiter". Am 2. Dezember 1918 wendet sich Hiller resümierend in einer Rede an die Versammelten: "Seit Jahren wirken wir Aktivisten durch Rede und Schrift für die Politisierung des Geistes und für die Vergeistigung der Politik." Hiller bedient sich mit diesem Chiasmus zweier markanter Begrifflichkeiten: dem "Geist" als Schlagwort der literarischen Gruppe des Aktivismus, der Kurt Hiller und Heinrich Mann angehören, sowie der "Politisierung", als Schlagwort einer vor allem während des Ersten Weltkriegs geführten und sich ab 1918 abschwächenden Debatte über das Verhältnis von Kunst und Politik. An diesen Chiasmus Hillers und die damit verbundene Debatte wird Walter Benjamin 1935 in den ersten beiden Fassungen seines "Kunstwerkaufsatzes" anschließen, wenn er darin von der Ästhetisierung der Politik und der Politisierung der Kunst spricht. Die Bezugnahme darauf tritt allerdings in den späteren, veröffentlichten Fassungen zusehends in den Hintergrund.
Es ist wiederholt die These vorgebracht worden, die Grundmuster der europäischen Metaphysik entsprängen den grammatischen Grundmustern der zur Darstellung dieser Metaphysik verwendeten Sprache, allgemeiner des indoeuropäischen Sprachtyps. Was ist z. B. das Sein anderes als eine abstrakte Fiktion, ermöglicht durch die Nominalisierung des Hilfsverbs? Weder findet sich in jeder Sprache ein solches Hilfsverb noch muß überall, wo es vorhanden ist, auch Nominalisierung möglich sein. Ist somit die Rede vom Sein, Ontologie, nicht – unbeschadet der Gründe, um derentwillen diese Rede geübt wird – eine bloße Irreführung durch die Mittel unserer Sprache? Und ferner: Ist nicht die im Wort "Ontologie" erwähnte Logik von eben demselben Sprachbau abhängig (wenn schon nicht von der menschlichen Psyche)? Wir analysieren doch das Urteil in Subjekt, Prädikat und Kopula, S ist P; und auch hier taucht in verräterischer Weise das Hilfsverb auf. Philosophie? Philosophie der Logik? "Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache." Mit diesen berühmten Worten leitete L. Wittgenstein eine Entwicklung ein ("Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück.") die E. Tugendhat 1976 schließlich so zusammenfaßte: "Ich kenne keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie die sprachanalytische Philosophie von der empirischen Sprachwissenschaft zu unterscheiden ist." Hat das nicht zur Konsequenz, daß am Ende die logisch-philosophischen Probleme – einschließlich aller die Philosophie der Logik betreffenden –, die doch apriori sich aus der Bewußtseinshelle des Menschen herzustellen scheinen, in einer empirischen Disziplin, der Linguistik, aposteriori also, ihre genugtuende Beantwortung finden? Dieser Frage wollen wir nachgehen. Zunächst ist hier kurz zu umreißen, wie sich dem unbefangenen Betrachter die Beziehung von Logik und Linguistik gegenwärtig darstellt.
In einem Brief vom 15.10.1907 an Clara Rilke beschreibt Rainer Maria Rilke die Zeichnungen und Aquarelle der kambodschanischen Tänzerinnen, die Auguste Rodin voller Bewunderung in Paris und Marseille im Jahr 1906 angefertigt hatte: "Da waren sie, diese kleinen grazilen Tänzerinnen, wie verwandelte Gazellen; die beiden langen, schlanken Arme wie aus einem Stück durch die Schultern durchgezogen, durch den schlankmassiven Torso (mit der vollen Schlankheit von Buddhabildern), wie aus einem einzigen langgehämmerten Stück bis an die Handgelenke heran, auf denen die Hände auftraten wie Akteure, beweglich und selbständig in ihrer Handlung. Und was für Hände: Buddhahände, die zu schlafen wissen, die nach alledem sich glatt hinlegen, Finger neben Finger, um jahrhundertelang am Rande von Schonen zu verweilen, liegend, mit dem Innern nach oben, oder im Gelenk steil aufgestellt, unendlich stilleheischend. Diese Hände im "Wachen: denk Dir. Diese Finger gespreizt, offen, strahlig oder zueinander gebogen wie in einer Jericho-Rose; diese Finger entzückt und glücklich oder bange ganz am Ende der langen Arme aufgezeigt: sie tanzend. Und der ganze Körper verwendet, diesen äußersten Tanz im Gleichgewicht zu halten in der Luft, in der Atmosphäre des eigenen Leibes, im Gold einer östlichen Umgebung."
In einer poetologisch reflektierenden und dabei, charakteristisch für den Dichter, äußerst begeisterten Sprache ("Da waren sie ... ", "Und was für Hände") holt Rilke durch den überraschenden Vergleich der lebhaften Tänzerinnen mit der Buddhagestalt das Sakrale in die Sphäre der Kunst und die Kunst in die Sphäre des Sakralen. Der Tanz als ein Ausdruck des Sakralen und Tänzer als die Beschwörer des Heiligen haben seit je in vielen Traditionen der Welt, vor allem aber im Orient, tiefe kulturelle Wurzeln. Dabei zeigt sich bereits die enge Verbindung von ästhetischer Religiosität und religiöser Ästhetik.
Ist es angemessen, "Der Mensch erscheint im Holozän" mit Flaubert Schlüsselwerk der Moderne zu vergleichen? Ein schmächtiges Büchlein mit einem vielhundertseitigen Roman? Seit wann wäre Umfang ein Kriterium? Frischs Erzählung, dies meine These, nimmt in der Belletristik der Spätmoderne eine ähnlich avancierte Stellung ein, wie "Bouvard und P#ecuchet am Beginn der Hochmoderne.
By juxtaposing parallel passages in Ernst Jünger's War Diary with those in his later works on World War I written during the 1920s, I aim to show that Jünger's concept of a soldier increasingly glorifies violence.
Zur Affinität des Sehens : neue Tendenzen einer visuellen Ästhetik in Adalbert Stifters "Haidedorf"
(2020)
Zum Ende des 18. Jahrhunderts setzt in der Literatur- und Kunstproduktion eine neue, visuell motivierte Tendenz ein: Die Affinität des Sehens. [...] Optische (Bild-)Effekte sind insbesondere bei Adalbert Stifter zugegen - und spiegeln seine Tätigkeit als Maler und Schriftsteller. [...] Stifter kombiniert seinen realistischen Anspruch mit wissenschaftlichen Kenntnissen und liefert zugleich ein ästhetisches Konzept der Naturschilderung. Um dieses Phänomen zu ergründen, liegt eine Untersuchung der Novelle "Das Haidedorf" nahe, die als dritte Erzählung im ersten Band der gesammelten "Studien" (1844) erschien. Da die Buchfassung von der früheren Journalfassung (1840) abweicht, ist ein vergleichender Blick angezeigt. Ferner ist das bildkünstlerische Schaffen des Schriftstellers zu beachten, das den Detailrealismus in Form von Studien, Gemälden und Zeichnungen vorgibt. In der Synopse der beiden Textvarianten soll die visuelle Ästhetik, speziell die Affinität des Sehens, neu konturiert und erarbeitet werden. Ergänzend wird eine Analyse der gemalten "Felsstudie" (1840) vorgenommen, die stilistische Parallelen zum Erzähltext hat. "Das Haidedorf" öffnet nicht nur die Sicht auf akribisch erfasste Naturphänomene und -bilder, sondern formt überdies eine Allegorie auf die Dichtung. Dichtung und (bildende) Kunst treten so in ein striktes Verhältnis: Während der Protagonist und Poet als Repräsentant für die Dichtung fungiert, nutzt der Text typische Strategien des bildenden Künstlers. In der Journalfassung tritt das "Motiv der Berufung zum Propheten und Dichter" markanter hervor. Zur "Heimat der Poesie" wird schließlich die schwäbische Heide, obschon ihr die Figur für einen längeren Aufenthalt im Orient fernbleibt. Diese Alteritätserfahrung verändert das figurale Befinden und somit auch das Verhältnis zur Landschaft. Die Novelle entwirft ein ästhetisches Paradigma, das die optische Wirkung der Handlung auf verschiedenen Ebenen darstellt. Dieser Beitrag soll die prägnanten Tendenzen der visuellen Ästhetik aufspüren, an Stifters Beispielen dokumentieren und synoptisch zusammenführen.
Kehlmann beschwört die Toten und leckt die Wunden des Dreißigjährigen Kriegs - nicht um sie zu heilen, sondern um sie offen zu halten. Durchgehend beharrt er auf dem Unabgegoltenen und Unabgeltbaren der Geschichte. Womöglich dichtet er aus dem Grund seinen gesamten Roman gegen jede potenzielle Identifikation des Dreißigjährigen Kriegs mit der gegenwärtigen Weltlage auch förmlich ab. Anspielungen auf den Nahen Osten oder auf Nordafrika sucht man in "Tyll" vergebens. Das wirft die simple Frage auf, was der Kehlmann'sche Text unabhängig von seiner offiziellen Poetik und Intention heute eigentlich anzeigt.
Zur intensiven Auseinandersetzung der Zeitgenossen mit Spitteler steht die Tatsache in Kontrast, dass seine Texte heute aus dem Kanon verschwunden sind: Weder gehören sie, wie noch in den 1960er Jahren, zur Schullektüre noch sind sie Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung und Lehre. In den 47 Jahren nach Erscheinen von Werner Stauffachers Biographie 1973 sind sehr wenige literatur- und geschichtswissenschaftliche Studien zu Spitteler entstanden. [...] Die Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft 2019 nahm sich im Jubiläumsjahr zum Ziel, Spittelers Werk vor dem Hintergrund gegenwärtiger Debatten und aktueller Theorieansätze zu lesen und die Frage nach der "Aktualität von Spittelers Texten" zu stellen. Mögliche Zugänge schienen z. B. auf folgenden Gebieten denkbar:
1. Debatten über die Literatur der Moderne
2. Rezeption der Populärkultur
3. Literatur und Psychoanalyse
4. Race, Class, Gender
5. Jugendbewegung und Reformpädagogik
6. "Denkraum Basel"
7. Zur Debatte um eine 'Schweizer Nationalliteratur'
8. Politische Stellungnahmen
9. Unbekannte Texte
Typisch für die 'Theaterfigur' ist, dass der an der Rolle ausgerichtete Entwurf Ausgangspunkt ihrer Gestaltung ist. Welchen Charakter soll sie verkörpern? Welche Bewegungen muss sie zulassen? Wie soll sie wirken? Überlegungen, wie sie auch bei der Besetzung einer Rolle mit einem menschlichen Darsteller maßgeblich sind. Bei der 'Theaterfigur' wird der Versuch unternommen, sie für die gedachten Anforderungen maßzuschneidern. Die Grenzen der Gestaltung sind dabei naturgemäß viel weiter gesteckt als diejenigen der Verwandlung, die Kostüm und Maske an einem Darsteller aus Fleisch und Blut erreichen können, ein Grund, weshalb 'Theaterfiguren' für extreme Rollen prädestiniert sind. Wichtiger als das gestalterische Moment ist allerdings die Bewegung, die Aktion."
Zur Auffassung der Kategorien Zeit und Raum in Oswald Spenglers "Der Untergang des Abendlandes"
(2012)
Oswald Spenglers 'Der Untergang des Abendlandes' kommt mit apokalyptischem Donnern daher, der Grundton ist aber nicht unbedingt pessimistisch. Zwar wird der Glaube an eine Sinnverankerung von Weltgeschichte fallengelassen. Ohne jegliche teleologische Ladung, so Spengler, steigen die Zivilisationen aus dem "Zufall Leben", aus dem "Zufall Mensch", aus dem "Zufall Kultur" auf. Auch jene abendländische Kultur, die ihn so mächtig fasziniert und für deren Verteidigung er in den 20er Jahren im Lager der Nationalen Rechten politisch aktiv wird, ist für ihn ein letztlich folgenloses Phänomen, eine ephemere Gestaltung, die die kurze Spanne eines Jahrtausends zunächst kraftvoll emporwächst, dann unweigerlich langsam abstirbt. Gleichwohl folgert Spengler aus dem Fehlen von Fortschritt und Ziel keinesfalls, dass die Weltgeschichte eine belanglose Abfolge sich gleichgültig aneinanderreihender Begebenheiten sei. Auch wenn er kein Zielversprechen mit ihr verbindet, behält sie für ihn ein euphorisierendes Glänzen. Spengler suggeriert, man müsse nur von abstrakter Erkenntnis auf gefühlte Intuition umschalten, und schon wittere man in ihren Tiefen das Heranpulsen "kosmischer Flutungen".
Wer nach positiven Bestimmungen der Desorientierung sucht, wird bei Benjamin schnell fündig. So ist der Flaneur, eine zentrale Figur im Passagen-Projekt, nicht zu denken, ohne die Fähigkeit, sich zu desorientieren. Beim Flanieren wird die Stadt erkundet, ohne den jeweils eigenen Standort genau bestimmen zu können (vgl. z. B. GS V, 524 f. u. 1052 f.). Die Probleme, die mit Benjamins "Irrkünsten" (GS VI, 469) einhergehen, werden von ihm kaum expliziert, sondern zeigen sich lediglich in der Praxis. Am Beispiel einer Handschrift der Vorrede zum Trauerspielbuch lässt sich nachzeichnen, wie Benjamin trotz des emphatischen Plädoyers für eine "Kunst des Absetzens" (GS I, 212, 931) die Desorientierung beim Schreiben als Problem ausmacht, das praktische Lösungsmöglichkeiten erfordert.
Zur Einführung
(2001)
Dichter lügen. Das hat Platon gesagt, allerdings hat er es erstens nicht ganz so gesagt, und zweitens gibt seine eigene Vorliebe für Gleichnisse und fingierte Fallbeispiele ebenso zu denken wie seine gelegentlichen Rekurse auf Mythen, ganz zu schweigen von der Einkleidung seiner philosophischen Reflexionen in Dialoge, denen man heute ohne Bedenken das Prädikat »literarisch« beilegen würde. Aber er ist in die Geschichte der Poetik eingegangen als der, der gesagt haben soll, daß die Dichter lügen. Hans Blumenberg ist in die Geschichte der Poetik eingegangen als der, der gesagt hat, die gesamte Geschichte des Nachdenkens über Dichtung sei eine Auseinandersetzung mit dem Platonischen Vorwurf, daß die Dichter lögen. Das mag eine Vereinfachung sein, falsch ist es nicht. Der Lügen-Vorwurf sowie die Reaktionen, die Bekräftigungen, Richtigstellungen, Modifikationen und Nichtigkeitserklärungen, die er seit der Antike provoziert hat, waren seitdem Anstoß zum Nachdenken über das, was Literatur ist, und über ihre Beziehung zu dem, was als Wirklichkeit gilt. Die Ausgangsthese und die von ihr provozierten Reaktionen ergeben zusammen ein interessantes Feld von Behauptungen, die einander teilweise widersprechen.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes prüfen die auf Streben, Wollen und Werden bezogenen Begriffe des Conatus und der Lebensnot als Schlüsselbegriffe der Medienanthropologie. Dabei verfolgt Medienanthropologie im hier entwickelten Sinne nicht das Ziel, die Menschenähnlichkeit der Technik herauszuarbeiten, wie dies prominent in der Kulturphilosophie Ernst Kapps oder auch bei Marshall McLuhan der Fall war. Im Fokus der vorgestellten medienanthropologischen Fragestellungen stehen vielmehr umgekehrt die vielgestaltigen Bemühungen des Gleichsetzens, Vergleichens oder Absetzens von Mensch und Technik in der Anthropologie, den Humanwissenschaften und der Medienforschung selbst. Die daraus wiederholt gewonnene Formulierungen der anthropologischen Differenz - Was ist der Mensch im Unterschied zu Technik und Tier? - sind Ausdruck dessen, was untersucht und seinerseits befragt wird.
'Zeugenschaft' ist nach und nach zu einem wesentlichen kulturellen Muster geworden und der 'Zeuge' zu einer zentralen Figur, die eine gesamte Gesellschaft prägen. Die interdisziplinären und epochenübergreifenden Ansätze in Monographien oder in Sammelbänden lassen Zeugenschaft aber gleichzeitig als zutiefst kontrovers erscheinen, gerade weil sie aufgrund ihres interdisziplinären Charakters eigentlich nur umstritten sein kann. Schaut man sich die wissenschaftlichen Publikationen der letzten fünfzehn Jahre an, mag in der Tat die Variationsbreite der Begriffe 'Zeugnis' und 'Zeugenschaft' verunsichern. Einer derartigen Reichweite droht nämlich eine gewisse Unschärfe oder gar eine Art von Eklektizismus. In manchen jüngeren kulturwissenschaftlichen Studien scheint sogar lediglich eine indirekte, minimal konzipierte Zeugenschaftskonstellation in den untersuchten Objekten vorhanden zu sein, so dass die Begriffe des Zeugen und des Zeugnisses sich nahezu aufzulösen drohen. Die zentrale Rolle des Zeugen und der Status von Zeugenschaft in einem kulturellen und politischen Leben, in dem Wissen und Information stets als "ungewiss" (John Ellis) beschrieben werden, lassen die Klärung des Begriffs 'Zeugenschaft' und besonders die Frage nach ihrem 'Wert' als Instrument des Wissens und dessen Vermittlung umso dringender erscheinen.
Zur Einleitung
(2000)
Das »Labyrinth« […] ist von hochgradiger Aktualität für Prozesse der Selbstbeschreibung des Menschen als handelndes, produzierendes und denkendes Wesen. Es bedarf jedoch, wenn Unklarheiten vermieden werden sollen, bei der Rede von Labyrinthen der Verständigung darüber, welcher Strukturtypus damit gemeint ist. Es bedarf ferner einer zumindest groben Verständigung über die Perspektive, aus der das »Labyrinth« betrachtet, erlebt, erfahren wird (Dädalus, Theseus, Minotaurus), oder über die Kombination von Perspektiven. Einer nicht weiter begründbaren Vorentscheidung unterliegt die Beantwortung der Frage, ob man zu jedem Labyrinth einen Dädalus als Konstrukteur hinzudenken muß. Offen ist auch die Frage, ob man es zulassen oder gar fordern soll, ein »Außen« des Labyrinths zu denken. Der Denkansatz, demzufolge alle Labyrinthe zumindest prinzipiell durchschaubare und gedanklich rekonstruierbare Strukturen sind, ist grundlegend verschieden von einem Denken, das den Menschen ausschließlich innerhalb des Labyrinths verortet und ihm die Möglichkeit eines Heraustretens abspricht, weil es kein Außen gibt.
Die Moderne ist durch die Intensität ihrer Auseinandersetzung mit dem Schweigen charakterisiert. Aber auch frühere Zeiten interessierten sich für das Schweigen, man sprach und erzählte von ihm, setzte es rhetorisch ein, verstand es (oder meinte es zu verstehen), kommentierte es, bediente sich sogar einer elaborierten Topik des Schweigens […].Doch mit der Moderne kommt es zu tiefgreifenden Verschiebungen in der Konstellation von Sprache und Schweigen. […] Zum einen gewinnt das Schweigen selbst neue Bedeutungsdimensionen, […] vor allem in seiner Eigenschaft als Hinweis auf all das, was jenseits der Grenzen der Wörter und des Sagbaren liegt. Zum anderen modifizieren und erweitern sich die Formen, in denen das Schweigen in die literarischen Werke einbezogen wird. Neben vielfältigen Thematisierungen, expliziten Beschreibungen und Interpretationen des Schweigens stehen Formen der Evokation und der Inszenierung des Schweigens durch die Strukturen der Texte selbst - Experimente, welche es darauf anlegen, das Schweigen gleichsam gestisch in literarische Prozesse einzubeziehen und durch Strategien der Textgestaltung zu konkretisieren. Auf dem weiten Feld solcher Experimente mit ästhetischen Manifestationsmöglichkeiten der Stille, der Lautlosigkeit, der Nicht-Artikulation berühren sich die Interessen moderner Literatur und Musik. Aber auch die bildende Kunst beteiligt sich am Großprojekt einer Evokation, Reflexion und Semantisierung des Schweigens.
Über die Diskussionen zum Autor lässt sich ein Überblick gewinnen, wenn man das Problemfeld danach einteilt, wie Autor, Text und Leser zueinander in Beziehung gesetzt werden. Wir gehen im Folgenden zunächst auf solche Positionen ein, die den empirischen Autor in die Interpretation literarischer Texte einbeziehen. Dann stellen wir Positionen vor, die den empirischen Autor aus dem Umgang mit Literatur ausschließen und sich lediglich auf Aspekte des Textes stützen wollen. Von diesen sind noch einmal jene Positionen abzusetzen, die ebenfalls auf den empirischen Autor für Zwecke der Interpretation literarischer Texte verzichten, nun aber nicht den Text, sondern die Position des Lesers in den Vordergrund stellen. Der Akzent liegt also entweder auf dem Autor, auf dem Text oder auf dem Leser.
Wer das Wort ›Anfang‹ verwendet, dem das Grimmsche Wörterbuch schon in der Phase der kürzeren Artikel drei Spalten widmet, sollte mindestens in zweierlei Hinsicht differenzieren: Zum einen hinsichtlich der Frage, ob es um einen räumlichen oder einen zeitlichen Anfang geht, und zum anderen hinsichtlich des semantischen Unterschieds zwischen ›initium‹ und ›principium‹. Den Strukturen unseres Denkens gemäß suchen wir die ›Prinzipien‹ bei den zeitlichen ›Anfängen‹. Daher ist es schwer, beides zu entkoppeln, daher verbirgt sich hinter der Rede von zeitlichen Anfängen vielfach die von Gründen. »Im Anfang war das Wort«: Damit fängt nicht nur das Johannesevangelium an, sondern auch das Grimmsche Wörterbuch. Der Satz in Joh. 1,1 spricht über den Grund aller Gründe, nicht ›nur‹ über die Urgeschichte; bei den Brüdern Grimm ist er mehrdeutig: ein Zitat aus der logozentrischen Tradition und eine Devise für Philologen, bei der es allerdings ebenfalls um das Wort als ›Grund‹ geht, als Grundlage lexikographischer Arbeit nämlich – aber in dieser Eigenschaft ist kein absoluter Grund. Mit der Rede vom ›Anfangen‹ geht es oft um die Denkbarkeit absoluter Anfänge.
Mit der Identität der Literatur selbst und mit dem institutionellen Rahmen ihrer Produktion und Rezeption wird sich der vorliegende Beitrag nicht weiter beschäftigen. Statt dessen soll auf der Textebene eines einzelnen Romans nach Spuren bestimmter, eher auf Europa als auf seine Bestandteile bezogene Identitätsmuster gesucht werden. Das Werk, das dieser Untersuchung zugrunde gelegt wird, Hilde Spiels zunächst 1961 auf Englisch erschienener Roman 'Lisas Zimmer' ('The Darkened Room'), bietet für diese Suche einen in mehreren Hinsichten aufschlussreichen Untersuchungsgegenstand. Der Roman spielt unter europäischen Emigranten in New York, deren Blick für die europäische Herkunft durch die Distanz geschärft ist. Der Roman arbeitet geradezu modellhaft mit europäischen Amerika-Bildern und projizierten amerikanischen Europabildern, womit ihm eine imagologische Perspektive quasi eingebaut ist.
Theodor Storm (1817 – 1888) gehört zu den bedeutendsten Repräsentanten des poetischen Realismus in Deutschland. Er schrieb zahlreiche Novellen und Erzählungen sowie ästhetisch wertvolle Gedichte. Die bisherigen literarhistorischen Arbeiten betonen seine eindeutige Verankerung im deutschen Kulturraum, obwohl Storm aus der Stadt Husum (heute Bundesland Schleswig-Holstein) stammte, die bis zur Mitte der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts ein Teil des Königreichs Dänemark war. Nach mehreren Kriegen, in denen Preußen und Österreich gegen Dänemark kämpften, wurde Schleswig zur preußischen Provinz und nach 1871 Teil des Deutschen Reichs. Diese Region prägte den jungen Storm wesentlich: Hier lebten Dänen neben Deutschen. Es handelte sich um diverse Formen der dänisch-deutschen Zweisprachigkeit und Biliterarität, was letztendlich zu einem regen interkulturellen Transfer führte.
Este ensaio investiga a importância da violência na entrevista de Hubert Fichte com Hans Eppendorfer, o Homem de Couro – no plano conteudístico e no plano estrutural. Tenta-se demonstrar como Fichte manipula (violentamente) o entrevistado. A violência que é tema da entrevistae examinada dentro do horizonte da teoria fichtiana do ritual.
Mit der Frage nach der Grundordnung gehen die Untersuchungen dieses Bandes hinter bzw. vor die juristische Semantik des Verfassungsbegriffs zurück. Denn dieser ist, wie andere moderne Fachtermini auch, das Ergebnis einer Verengung. Die 'Verfassung', zunächst ein 'Erfahrungsbegriff', "der den politischen Zustand eines Staates umfassend wiedergibt", habe sich zum Begriff für den "rechtlich geprägten Zustand eines Staates" verengt und falle "nach dem Übergang zum modernen Konstitutionalismus mit Gesetz in eins", währenddessen der Begriff des Gesetzes nun "die Einrichtung und Ausrichtung der staatlichen Herrschaft regelt" und "damit selbst vom deskriptiven zum präskriptiven Begriff" wird, so Dieter Grimm, der die genannte Verengung damit erklärt, dass der Begriff der 'Verfassung' seine "nichtjuristischen Bestandteile zunehmend" abgestoßen habe. Diese nichtjuristischen Bestandteile aber sind Grundlage und Voraussetzung des Grundgesetzes, das sich eine Gemeinschaft gibt, um sich als politisch-rechtliches Gebilde zu konstituieren. Sie betreffen das Selbstverständnis eines politischen Gemeinwesens, ob Land, Staat oder Föderation, das tiefer und weiter zurück reicht als das Gesetz.
[...]
Damit rühren die nichtjuristischen Bestandteile des Verfassungskonzepts an Erfahrungen, Überzeugungen und Prinzipien, nach denen ein Gemeinwesen gebildet wird. Deren normative Kraft wird dadurch verfestigt, dass ihnen Verfassungsstatus verliehen wird – vorausgesetzt man könne einem Gemeinwesen einen einheitlichen Willen, einen volonté generale, unterstellen. Da das in der historischen Realität seltener der Fall ist, kommen in der Formulierung der grundlegenden Prinzipien einer Verfassung auf je unterschiedliche Weise religiöse, ethnische, geographische, sprachlich-kulturelle oder auch sittliche Aspekte zum Zuge, von denen dann zumeist einer als prioritär bewertet und deshalb allen anderen vorangestellt wird: als übergeordneter Gesichtspunkt. Wenn etwa die Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz als "freiheitlich demokratische Grundordnung" definiert ist, dann sind darin leitende Prinzipien formuliert, die sich in diesem Fall auf vorausgegangene historische Erfahrungen gründen, konkret auf die Lehren, die aus Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg gezogen wurden. Das gilt ähnlich für die Europäische Union, die ihr Selbstverständnis als "wirtschaftliche und politische Partnerschaft zwischen 27 europäischen Staaten" auf die Erfahrungen der Kriege des 20. Jahrhunderts zurückführt.
In diesem Aufsatz werden der medizinische und literarische Diskurs bei Büchner miteinander verglichen. Vor allem in seiner Zürcher "Probevorlesung über Schädelnerven" und in seinem "Woyzeck", welche im letzten Lebensjahr Büchners entstehen, scheinen die Begriffe von Subjektivität und Objektivität – in Lenzscher Anlehnung – "auf dem Kopf [zu] gehn". In seiner medizinischen Vorlesung beweist der Privatdozent Büchner, dass es den freien Willen gibt, während er in seinem Woyzeck, insbesondere in der Doktorszene, die Unterdrückung des Protagonisten eindrücklich in Szene setzt. Dieser Aufsatz zeigt somit auf, dass eine kritische Reflexion über die Abhängigkeit und den freien Willen des "Subjekts der Geschichte" auf der Folie der politischen Sensibilisierung in Umbruchzeiten wie im Vormärz möglich wird.
Der Dichter als "poeta vates" ist eines der Dichtungsmodelle, das die Zeit zwischen dem späten 18. und dem frühen 19. Jahrhundert bestimmt. Der Topos des "poeta vates", wie er von Autoren des 18. Jahrhunderts unter anderem in der lyrischen Gattungsform der Hymne akzentuiert wird, ruft ein Modell religiöser Autorschaft auf und greift zugleich auf antike Vorbilder zurück. Autorisiert wird der Dichter von einer höheren Instanz. Mit dem Konzept des "poeta vates" entwirft schon die antike Literatur einen Topos, der den Dichter als Seher, Mittler und als göttlich Inspirierten begreift.
[D]ie Analogie zwischen den vertikalen Ordnungen der Körper- und der Gesichtszonen [wird] in mindestens einem wesentlichen Detail gestört. Dieses Detail ist die Nase. In der alteuropäischen Physiognomik bildet sie ein herausragendes Detail in dem umfassenden System der Ähnlichkeiten, das den Menschen nicht nur zu den kosmischen Elementen, sondern auch zu den Tieren und deren Eigenschaften in Beziehung setzte. [...] Spätestens seit dem 18. Jahrhundert wird diese Tierähnlichkeit als ganze prekär, und das macht gerade die Nase zu einem physiognomischen Ärgernis.
Für die Juli-Ausgabe von "39Null - Magazin für Gesellschaft und Kultur" (7/2019) hat Katharina Rahn mit Moritz Neuffer und Morten Paul über die Neue Rechte, Medien und Fragen der Öffentlichkeit gesprochen. Zusammen mit weiteren Geistes- und Kulturwissenschaftler*innen haben die beiden 2017 den Arbeitskreis "Kulturwissenschaftliche Zeitschriftenforschung" gegründet. Im daraus hervorgegangenen Eurozine-Dossier "Worlds of Cultural Journals" wurde 2018 ihr Aufsatz "Rechte Hefte. Zeitschriften der alten und neuen Rechten nach 1945" veröffentlicht.