CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Die gemeinsam geschriebene Doppelpublikation "ONE + ONE" und "I – I" des Philosophen Armen Avanessian und der Literaturwissenschaftlerin Anke Hennig bildet den Abschluss ihrer Arbeit am Spekulativen, die 2012 an der FU Berlin begonnen wurde und maßgeblich zum Import des spekulativen Realismus in Deutschland beitrug. [...] Das Spannende an den Büchern ist jedoch nicht ihre kultur-, literatur- und sprachtheoretische Beschäftigung mit der Gegenwart, sondern die textperformative Ebene, auf der die Autor*innen unentwegt den Prozess des "Zu-zweit-Schreibens" mitthematisieren, um so dem Kreativitätsdispositiv und dem solipsistischen Schreiben an der Universität eine 'echte' kooperative Schreibweise entgegenzusetzen. Ihr Vorhaben amalgamiert auf diese Weise Theorie, Biographie und Fiktion, wobei das kooperative Schreiben nicht nur als Beiwerk für den Transport der Inhalte fungiert, sondern auch zu einem stilistisch-performativen Leitprinzip wird.
Die verfügbaren theoretischen und kulturhistorischen Untersuchungen über das Lesen zeigen kaum Neigung, sich mit dem Problem der Abgrenzung wissenschaftlichen Wissens von anderen Wissensbeständen zu beschäftigen; vielleicht, weil es so selbstverständlich scheint, dass die Fähigkeit zu lesen keine Domäne bildet, die exklusives Eigentum einer Wissenschaft sein könnte. Da jedoch viele geisteswissenschaftliche Disziplinen der Vorstellung verhaftet bleiben, dass sie über besondere Methoden des Lesens verfügen, die ansonsten unerreichbares Wissen hervorbringen, klafft hier eine epistemologische Lücke.
In the age of mechanical reproducibility, the 'aura' surrounding works of art undergoes a crisis. The contemporary relevance of Walter Benjamin's thesis - in its societal, aesthetic, and media-theoretical significance - is illustrated by former U.S. president Donald Trump's purported ownership of "Les deux soeurs" ("Two Sisters"), also known as "Sur la terrasse" ("On the Terrace"), by Pierre-Auguste Renoir. Journalist Mark Bowden, who caught a glimpse of the painting when he was invited to Trump's jet in 1997, describes the event in an article for Vanity Fair: "He showed off the gilded interior of his plane - calling me over to inspect a Renoir on its walls, beckoning me to lean in closely to see … what? The luminosity of the brush strokes? The masterly use of color? No. The signature. 'Worth $10 million,' he told me." Of course, this is the attitude that one might expect from a real-estate mogul turned art collector (although not from a future president). In ignorance of both form and content - to say nothing of their unity - the painting is reduced to its sheer exchange value, concentrated in the signature guaranteeing its authenticity.
Unter dem Label "Digital Humanities" (DH) werden unterschiedliche Themen, Gegenstände und Erkenntnisansprüche subsumiert. Vielen gelten die DH als Erweiterung des klassischen Methodenkanons, da sie computergestützte Verfahren für die Geisteswissenschaften in Aussicht stellen. Gleichzeitig verstärken die DH, indem sie unter anderem neue Werkzeuge anbieten, auch praxeologische Tendenzen innerhalb der Geisteswissenschaften. Infolgedessen haben sich die Rede von der Theorielosigkeit der DH sowie Erzählungen vom "Ende der Theorie" in den Diskussionen über digitale Methoden, Praktiken und Forschungsinfrastrukturen als Hauptnarrative etabliert. Dem Status der Theorie in den DH widmete sich die Tagung "Theorytellings: Wissenschaftsnarrative in den Digital Humanities", die am 8. und 9. Oktober 2020 in Leipzig stattfand und von der Arbeitsgruppe "Digital Humanities Theorie" des Verbandes "Digital Humanities im deutschsprachigen Raum" und dem "Forum für Digital Humanities Leipzig" organisiert wurde.
Die Redaktion von "leibniz" hat für die Ausgabe ihres Magazins zum Thema "Anfänge" (Heft 3, 2020) dreizehn Menschen aus der Leibniz-Gemeinschaft gebeten, ihre liebsten ersten Sätze kurz zu kommentieren. Eva Geulen, Direktorin des ZfL, hat hierfür einen Satz aus Heimito von Doderers Roman "Ein Mord den jeder begeht" ausgewählt. Wir veröffentlichen auf unserem Blog die Langfassung ihres Textes.
"What makes a great magazine editor?", fragte der britische Literaturwissenschaftler Matthew Philpotts kürzlich in einem Essay für "Eurozine" und stellte eine Typologie von Herausgebertypen auf, die in der Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts bedeutende Rollen spielten. [...] Der Kanon der 'großen' verlegenden Männer legt den Gedanken nahe, dass Hildegard Brenner (*1927) in der intellektuellen Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts eine Ausnahmeerscheinung darstellte.
Bis Ende Oktober 2020 waren in Berlin zwei bemerkenswerte, aufeinander bezogene Ausstellungen zu sehen. Unter dem Titel "Aby Warburg: Bilderatlas Mnemosyne. Das Original" zeigte das Haus der Kulturen der Welt Warburgs Bilderatlas, wie ihn die Kuratoren Roberto Ohrt und Axel Heil anhand der letzten dokumentierten Version vom Herbst 1929 unter Nutzung von Warburgs originalem Bildmaterial wieder hergestellt haben. Eindrucksvoll wurden die 63 großen Tafeln mit insgesamt 971 Abbildungen in dem abgedunkelten Ausstellungsraum präsentiert, in der Aufstellung an die charakteristische Ellipsenform des Lesesaals der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (KBW) erinnernd. Wer sich nach dem Besuch dieser Ausstellung auf einen spätsommerlichen Gang durch den Tiergarten machte, konnte anschließend in der Gemäldegalerie 50 der insgesamt etwa 80 Werke, die Warburg in den Bilderatlas aufgenommen hatte und die sich im Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin befinden, im Original sehen.
Merab Mamardaschwili (1930–1990) ist ein, wenn nicht der bedeutendste Philosoph aus der Sowjetunion. Der "georgische Sokrates" (Jean-Pierre Vernant) genießt in seiner georgischen Heimat und in Russland, wo er mehrere Generationen von Philosoph*innen beeinflusst hat, beinahe kultische Verehrung. Mamardaschwilis Philosophie aber wurde von seinem Kultstatus geradezu erdrückt: Er ist als philosophische Pop-Ikone in Georgien und Russland allgegenwärtig, er wird bewundert, passend oder unpassend zitiert, aber wenig gelesen. Außerhalb der ehemaligen Sowjetunion ist er weitgehend unbekannt geblieben, in deutscher Übersetzung liegen nur einzelne Vorträge und Aufsätze vor. 30 Jahre nach seinem Tod am 25. November 1990 wäre es die beste Würdigung, ihn von seinem Denkmalstatus zu befreien und als einen Philosophen wiederzuentdecken, mit dem die Fragen an die Gegenwart anders zu stellen und möglicherweise auch zu beantworten sind.
Vor allem in Deutschland ist die historische Perspektive spätestens seit Dilthey erste (akademische) Bürgerpflicht und Inbegriff von Geisteswissenschaftlichkeit überhaupt. Erfrischend und gründlicher provozierend ist deshalb der Blick in das Buch eines jungen Anglisten der Yale University, das auch in den USA, wo die Humanities von jeher nicht so eng an den Primat der Geschichte gekoppelt waren, für einige Aufregung gesorgt hat. Im Alleingang, abseits geläufiger Periodisierungen und Selbstbeschreibungen, hat Joseph North eine - eingestandenermaßen tendenziöse - Geschichte seines Fachs vorgelegt
Der Proust'sche Fragebogen dient traditionell dazu sich kennenzulernen, sei es in einem französischen Salon, wo er einst entstand, sei es auf der letzten Seite eines deutschen Magazins. Wir haben unseren eigenen Fragebogen für den ZfL BLOG entworfen. Hier antwortet jetzt Anja Keith, die seit dem Frühjahr 2020 am ZfL an der von Detlev Schöttker geleiteten "Kommentierten Auswahl-Edition des Briefwechsels zwischen Ernst und Gretha Jünger (1922–1960)" arbeitet.
In a time when 'internationalization' and 'diversity' have become key areas universities are expected to excel in, it may seem an almost self-evident endeavor to install a memorial for a figure as influential and internationalist as Du Bois, whose connection to the Humboldt University outlasted two ideologically very different political systems. Planned to be positioned in the ground floor of the main building, the memorial, which will start production as soon as the last funding has been secured, reveals an image right at its center that "exist[s] in virtually every student's life and family album, and commonly serve[s] as vehicle[s] of recognition, remembrance and commemoration": the class photograph. What are the main considerations underlying the W. E. B. Du Bois Memorial's concept and design? How has it evolved so far? And what can such a memorial realistically achieve?
The resistance of aesthetics consists in the mode of experience that art affords, which promotes individual consciousness and political awareness by exploding the dualisms with which we tend to simplify things: centralization and decentralization, totality and fragmentation, communism and neoliberal capitalism, dictatorship and democracy. Although the formal complexity and ambiguous compositions met in works by the likes of Picasso, Woolf, and Schönberg most obviously support this sort of experience, it can be drawn out of all art to various degrees. Indeed, what distinguishes these modernists from the artists who came before and after them is how they set aesthetic experience as the aim of artistic production. But no work of art can be reduced either to the whole or to the sum of its parts; either to systematicity or to formlessness. Strictly speaking, the opposing ideals of classical and critical aesthetics are not two distinct aesthetic positions, but the theoretical limits between which art unfolds. By analogy, totalitarian governance and social atomism are not oppositional political materializations, but the two extremes at which politics ends.
Im Zusammenhang mit den Tendenzen zum Autobiographischen in der Gegenwartsliteratur, die seit einiger Zeit unter dem Label der Autofiktion bekannt sind, wird häufig der Name der französischen Autorin Annie Ernaux genannt. Allerdings hat der Tagebucheintrag in ihrem Werk eine besondere Funktion, dient er doch der nachzeitigen Stabilisierung ihrer anderen Texte. Sie selbst bezeichnet ihre Texte, die autobiographische Erlebnisse im Kontext der sie bestimmenden sozialen Strukturen erzählen, auch nicht als Autofiktionen, sondern als "Autosoziobiographien", die sich ihrem Gegenstand nur im Rückblick annähern können.
Bevor Wolodymyr Selenskyj vor einem Jahr Präsident der Ukraine wurde, war er dies schon einmal gewesen, und zwar in seiner Rolle in der erfolgreichen Fernsehserie "Sluha narodu" ("Diener des Volkes"). Hier zeichnet sich nicht nur ein neues Verhältnis von digitaler Wirklichkeit und politischer Öffentlichkeit ab, sondern auch eine neue Form des Populismus, die nicht auf nationalistische Diskurse und reaktionäre Denkmuster baut, sondern antistaatliche und neoliberale Affekte miteinander verbindet.
Ein Vergleich der beiden Biographien Warburgs, der vollendeten von Gombrich und der unvollendeten von Bing, dürfte angesichts der offensichtlichen Differenzen ihrer beider Sichtweisen wenig ertragreich sein. Allerdings ist Bing, die eine enge Vertraute Warburgs war, etwas Wichtiges aufgefallen, das Gombrich entgangen ist und auch von weiten Teilen der darauffolgenden Literatur nicht zur Kenntnis genommen wurde: Warburg hatte Ludwig Traube, den Begründer der modernen Paläographie, als "Großmeister unseres Ordens" bezeichnet. Diese amüsante Ehrerbietung mit ihren freimaurerischen Untertönen hat weitreichende hermeneutische Implikationen, die von Bing mit großem Scharfsinn entwickelt wurden. Hierzu stellen meine folgenden Überlegungen eine Ergänzung dar.
Euphorisch nahm das deutsche Feuilleton im letzten Sommer ein schmales Bändchen auf: Theodor W. Adornos "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus". Ihm liegt ein von Adorno ursprünglich 1967 vor Wiener Studierenden gehaltener Vortrag zugrunde, in dem er auf den Einzug der NPD in einige deutsche Landesparlamente Ende der 1960er Jahre reagierte. Vorherrschend in den Besprechungen war der Verweis auf "erstaunliche Parallelen" zwischen dem Rechtsradikalismus der 1960er Jahre und den "gegenwärtigen Entwicklungen". [...] Magnus Klaue ist einer der wenigen Rezensenten, der in die Jubelrufe nicht einstimmt. In seiner Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kritisiert er nicht Adornos Vortrag selbst, sondern die aus seiner Sicht "um den Preis der Enthistorisierung" allzu munter betriebene Parallelisierung der damaligen mit aktuellen politischen Entwicklungen. Klaue plädiert für die Einordnung von Adornos Vortrag in seinen zeitgeschichtlichen Entstehungskontext, da sich die Situation Ende der 1960er Jahre von der heutigen deutlich unterscheide.
Der Warschauer Künstler Karol Radziszewski gestaltet seit 2015 das Queer Archives Institute (QAI). Es ist bis Ende September 2019 im Schwulen Museum Berlin zu sehen und präsentiert Dokumente queeren, vor allem schwulen Lebens aus verschiedenen Ländern Osteuropas in der Spätzeit des Staatssozialismus und während der ersten Jahre nach dessen Untergang.
Innerhalb nur eines Jahres haben sich zwei Autoren im deutschsprachigen Literaturbetrieb öffentlich zu Wort gemeldet und der Literaturkritik wie der Literaturwissenschaft eine Lehre erteilt: Christian Kracht und Clemens Setz. Die beiden Reden sollten wir uns merken. Als Literaturwissenschaftlerin wünscht man sich, dass der Gegenstand nicht die Art des wissenschaftlichen Zugriffs diktiert. Schwierig wird es, wenn ein sehr lebendiger und sprachgewandter Autor meint, ein Wörtchen im Umgang mit seinen Texten mitzureden zu haben und sich selbst zum Gegenstand der wissenschaftlichen und feuilletonistischen Debatten macht. Dieses Problem tut sich nach dem postmodernen Tod des Autors vor allem auf, wenn Autor*innen gebeten werden, nicht aus ihrem Werk, sondern über ihr Werk zu lesen. Das geschieht im heutigen Literaturbetrieb recht häufig, denkt man an all die Poetikdozenturen im deutschsprachigen Raum oder Vorträge und Dankesreden im Rahmen von Literaturpreisverleihungen.
Bei den 43. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt galten in diesem Jahr die hitzigen Debatten nicht den Siegertexten. [...] Von den Diskussionen um die Texte Beyers und Othmanns bleibt der Eindruck zurück, dass eine ungute moralische Verzagtheit in der Literaturkritik herrscht: Wo die Autorin als Zeugin für das Geschilderte einsteht, wird aus Respekt (und aus Vorsicht?) geschwiegen, wo der Autor Leidensgeschichten trivial ausschlachtet, wird seinem Text die Existenzberechtigung abgesprochen. Damit wird man beiden Texten nicht gerecht. Die Frage ist nicht, ob Literatur "das darf". Mit einem solchen letztlich hohlen und folgenlosen Verdikt verweigert sich die Literaturkritik wichtigeren Fragen, zum Beispiel denen, wie mit dem Einzug von trivialisierten Geschichten aus der NS-Zeit in die Unterhaltungsliteratur umgegangen werden kann und wie der unangenehmen Lage beizukommen ist, dass Opferschicksale offenbar erfolgreich zur Aufwertung von Texten dienen. Was sagt das über die Leserschaft? Was sagt es aber auch über die Leserschaft, wenn sie sich zu einem Text mit autobiographischen Bezügen nicht mehr kritisch verhält?